Die Bauern lassen nicht locker. Sie sind nach wie vor wild entschlossen, ihre Forderungen durchzusetzen. Sie wollen vor allem bessere Preise für ihre Erzeugnisse. Und da richtet sich ihre Wut auf die Nahrungsmittelindustrie und den Einzelhandel. Auf diese Sektoren haben sich insbesondere die wallonischen Bauern inzwischen eingeschossen.
In der Provinz Hennegau blockierten protestierende Landwirte am Mittwoch zwei Logistikzentren der Supermarktkette Colruyt in Ghislenghien und in Ollignies. In Marche-en-Famenne haben Bauern ein Lager des Discounters Lidl abgeriegelt.
Der Einzelhandelsverband Comeos rief die Demonstranten zur Besonnenheit auf. "Wir sind doch Verbündete, schließlich verkaufen wir die Erzeugnisse der Bauern", sagt ein Sprecher in der Nachrichtenagentur Belga. Und auch Geschäftsführer Dominique Michel plädiert auf unschuldig. Niemand könne behaupten, dass sich der Einzelhandel an den Bauern eine goldene Nase verdiene, sagte Michel sinngemäß in der RTBF. "Unsere Gewinnspanne ist extrem klein. Und das sagen nicht wir, das hat das Wirtschaftsministerium hochoffiziell festgestellt. An einem Einkaufswagen im Wert von 100 Euro verdienen die Supermärkte demnach gerade mal 1,30 Euro".
Man könne dem Einzelhandel auch nicht vorwerfen, Tür und Tor für ausländische Produkte zu öffnen, betont der Comeos-Geschäftsführer. "95 Prozent des verkauften Rindfleischs ist belgisch, gleiches gilt für 90 Prozent des Schweinefleischs, 80 Prozent der Eier und des Gemüses. Nur Bananen und Kiwi müssen wir importieren." Wir unternehmen enorme Anstrengungen, um die Erzeugnisse "Made in Belgium" zu promoten.
Doch auch die Nahrungsmittelindustrie will sich den Schuh nicht anziehen. "Der Vorwurf, wonach wir uns auf dem Rücken der Bauern bereichern, dieser Vorwurf ist falsch", sagte in der RTBF Anne Reul, Geschäftsführerin des Branchenverbandes Fevia. Auch in unserem Sektor sind die Gewinnmargen eingebrochen.
Entsprechend können wir auch nicht den Bauern mehr zahlen, ohne die Mehrkosten dann an die Kunden bzw. dann die Verbraucher weiterzureichen. Mit anderen Worten: Sowohl der Einzelhandel als auch die Nahrungsmittelindustrie reichen die heiße Kartoffel eigentlich an die Verbraucher weiter.
Wut richtet sich gegen Colruyt
Dass die Bauern vor allem Colruyt ins Visier genommen haben, dafür gibt es auch noch einen anderen Grund. Die Supermarktkette hat nämlich seit einiger Zeit eine neue Strategie. Das Unternehmen hat zuletzt massiv landwirtschaftliche Nutzflächen aufgekauft. Und Colruyt legt da richtig Geld auf den Tisch, beklagte in der RTBF Johan Baland, ein Bauer aus Chièvres in der Provinz Hennegau. Ziel ist es offensichtlich, die ganze Erzeugerkette zu kontrollieren, vom Bauern bis hin zum Verbraucher. Baland gehört zu den Initiatoren der Protestaktionen, die speziell gegen Colruyt gerichtet sind.
Nach einer Recherche der Zeitung De Standaard hat die Supermarktkette innerhalb kurzer Zeit 570 Hektar erworben. Natürlich bewirtschaftet das Unternehmen das Land nicht selbst, aber Colruyt entscheidet, was auf dem Acker angepflanzt werden soll. Und der Pächter sei zudem verpflichtet, seine Erzeugnisse an Colruyt zu verkaufen. Man fühlt sich da fast schon an eine Form von Leibeigenschaft erinnert, sagt Bauer Johan Baland.
Dazu kommt: Weil Colruyt so viele Nutzflächen aufkauft, steigen die Preise. Das mag gut sein für die Verkäufer. Für Jungbauern ist das aber eine Katastrophe. Etwa dann, wenn sie sich vergrößern wollen, oder wenn sie bei der Übernahme des Hofes ihre Geschwister auszahlen müssen. "Aus all diesen Gründen machen uns diese künstlich aufgeblähten Preise das Leben schwer", sagt Johan Baland.
Man sieht es: Manchmal können Fallstricke da sein, wo man sie auf den ersten Blick gar nicht vermutet. Ein Verdienst der Bauernproteste ist es denn auch, eben auch mal den Finger in solche eher unbekanntere Wunden zu legen.
belga/rtbf/vrt/rnd/jp/rop