Spannende Zeiten für politische Beobachter. Fast täglich halten Parteien in diesen Tagen ihre jeweiligen Neujahrsempfänge ab, und die Vorsitzenden produzieren dabei so manche Aussage, über die man dann gleich wieder abendfüllend diskutieren und streiten kann.
Das gilt zum Beispiel für Bart De Wevers Idee einer "Notregierung". Der N-VA-Chef hatte am Samstag für die Bildung eines provisorischen Kabinetts plädiert, das sich gleich nach der Wahl um die drängendsten Probleme kümmern und parallel dazu eine neue Staatsreform vorbereiten sollte. Über diesen Vorschlag ist schon viel Tinte geflossen, die meisten Leitartikler - auch und vor allem in flämischen Zeitungen - haben ihn schon postwendend abgeschossen, weil unrealistisch, unlauter und außerdem undemokratisch.
Open VLD: Spaltung fördert nicht den Wohlstand
Und auch die Open VLD hat der Idee am Montagabend eine Absage erteilt. "Einige wollen uns das Märchen erzählen, wonach eine Spaltung des Landes Wachstum und Wohlstand fördern würde", sagte Premierminister Alexander De Croo beim Neujahrsempfang seiner Partei in Brüssel. "Wir müssen unser Land aber nicht noch komplexer machen, sondern vielmehr vereinfachen. Und das geht nur mit einer vollwertigen, handlungsfähigen Regierung, die über eine Mehrheit im Parlament verfügt."
Als ein möglicher Mehrheitsbeschaffer taugt die Open VLD allerdings im Moment nur bedingt. Die flämischen Liberalen sind in den Umfragen in Flandern inzwischen mit dürftigen sieben Prozent sogar Schlusslicht, obgleich man doch eigentlich einen Premierminister-Bonus haben könnte. Um doch noch das Ruder herumzureißen, will sich die Open VLD offensichtlich mehr denn je als Gegenentwurf zu De Wevers N-VA profilieren. "Wir sollten uns nicht wieder auf eine endlose Diskussion über eine neue Staatsreform einlassen", predigte De Croo. "Das wäre Energieverlust und damit auch Wohlstandsverlust":
CD&V: Belgien ist nicht Singapur
Nicht nur die Open VLD, auch die christdemokratische CD&V will sich offensichtlich als die vermeintlich "besonnene" Alternative zur N-VA positionieren. In diesen Zeiten der Polarisierung suchten viele Menschen jetzt wieder ihr Heil im politischen Zentrum, sagte CD&V-Chef Sammy Mahdi. Ohne De Wever oder seine Partei namentlich zu erwähnen, distanzierte sich Mahdi von der N-VA: "Unser Gesellschaftsmodell, das ist nicht das von Singapur", sagte der CD&V-Chef beim Neujahrsempfang seiner Partei. In Singapur müssen die Menschen 48 Stunden pro Woche arbeiten, dort gibt es keine gesetzliche Krankenversicherung, dort werden die Menschen auf ihren Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt reduziert, dort sind kühle Rechenmodelle das Maß aller Dinge."
Die N-VA mit dem singapurischen Modell gleichzusetzen, das allerdings sei doch schon sehr verwegen, schrieb unter anderem die Zeitung De Tijd. Denn: Die Partei habe sich nie wirklich darauf berufen.
Falschinformationen der PTB
De Tijd spricht da von Desinformation, wobei: Ein noch prägnanteres Beispiel dafür hat am Wochenende die marxistische PTB geliefert. Die Partei will im Wahlkampf vor allem für mehr Steuergerechtigkeit eintreten. Und der PTB-Vorsitzende Raoul Hedebouw machte das an einem konkreten Beispiel fest: Ein international operierendes Unternehmen wie Colruyt zahle in Belgien 0,27 Prozent Steuern. "Das ist doch irre", wetterte Hedebouw in der RTBF. "Die arbeitende Bevölkerung zahlt 30 bis 40 Prozent. Hier wird doch mit zweierlei Maß gemessen."
Diese Aussage haben viele Medienhäuser einem Faktencheck unterzogen. Und das Ergebnis ist immer das gleiche: Die Geschichte mit den 0,27 Prozent Steuern stimmt nicht. Hedebouw mag sich da noch so hinter Zahlenspielereien verstecken, die buchhalterische Wahrheit laute: Colruyt zahle - wie alle anderen - eine Körperschaftssteuer in Höhe von 25 Prozent, so der allgemeine Befund. Auch die PTB verbreite hier also Falschinformationen.
Und das ist vielleicht nur ein Vorgeschmack. Belgien ist schließlich keine Insel. So ein bisschen überall auf der Welt werden Wahlkämpfe zunehmend mit Lügen und Desinformation vergiftet. Insbesondere beim rechtsextremen Vlaams Belang ist so etwas längst gang und gäbe. Experten warnen schon lange davor: Dieser Wahlkampf könnte besonders dreckig werden.
Roger Pint
Fake News aus dem eigenen Land und nicht aus Russland oder China.