Gesucht wird eine Lösung im Streit um Größe, Ausdehnung und Grenzen, um Zuständigkeiten, Befugnisse und Statut und schließlich, wie könnte es anders sein, um die Finanzierung einer chronisch an Geldmangel leidenden, aber wirtschaftlich potenten Region.
Seit 1988 ist die Hauptstadt Belgiens eine aus 19 Kommunen bestehende, zweisprachige Region. An der Peripherie, am Rand Brüssels, gibt es noch sechs Gemeinden mit sprachlichem Sonderstatut. Dort leben zahlreiche Französischsprachige in flämischen Gemeinden. Um die würden die französischsprachigen Parteien Brüssel gerne erweitern. Für Flandern ist das ausgeschlossen.
Doch zu mehr Kooperation mit Brüssel scheint man dennoch mehr und mehr bereit zu sein. Nicht ohne Grund: Flandern braucht ein Reservoir junger Arbeitskräfte, um auch in Zukunft die jetzt geltenden Wohlfahrtsstandards halten zu können, denn die eigene Bevölkerung vergreist. Brüssel bietet dieses Potential.
Nicht Dekrete, sondern Ordonnanzen
Die Region Brüssel Hauptstadt unterscheidet sich von den anderen beiden Regionen des Landes, der Flämischen und der Wallonischen. Ein Beispiel: Wenn in Flandern oder der Wallonie ein Dekret in Kraft tritt, dann ist es in Brüssel eine sogenannte Ordonnanz. Das hat mit der eigentlich militärischen Konnotation des Wortes Ordonnanz nichts zu tun, sondern ist die Bezeichnung für die Rechtsnormen, die die Region Brüssel erlässt.
Feiner Unterschied: Die Ordonnanzen der Region Brüssel können von der Föderalregierung gestoppt oder aufgehalten werden. Gleichzeitig haben Flamen und Wallonen Gremien zur Einflussnahme und für die Vertretung ihrer jeweiligen Sprachgruppe in Brüssel.
Brüssel loslassen?
Auch wenn nur gut 100.000 Brüsseler Niederländisch als Muttersprache haben, ist Brüssel weiterhin auch Hauptstadt der zusammengeflossenen flämischen Gemeinschaft und Region, also Flanderns. Die demographische Entwicklung der letzten Jahre hat aber gleichzeitig dafür gesorgt, dass der Anteil rein französischsprachiger Haushalte in Brüssel unter die 50%-Marke gerutscht ist. Eine Realität, die in der politischen Debatte und den Verhandlungen um die Zukunft Brüssels aber untergeht.
Brüssel loslassen, das war vor einiger Zeit für Flandern noch unvorstellbar. Jetzt scheint selbst innerhalb der nationalistischen N-VA die Möglichkeit zu mehr Autonomie für Brüssel in Betracht gezogen zu werden. Brüssel könnte also vielleicht doch ein vollwertiger Teilstaat im Belgien von morgen werden.
Das liebe Geld
Dass Brüssel mehr Finanzmittel braucht, weil den dort vorhandenen gut 700.000 Arbeitsplätzen täglich etwa 360.000 Pendler gegenüberstehen, die in Brüssel keine Steuern zahlen, darüber war man sich am Verhandlungstisch in den letzten Monaten wohl einig. Man wollte auf flämischer Seite nur keinen Blanko-Scheck ausschreiben.
Es gilt dafür zu sorgen, dass Brüssel von der dort volkswirtschaftlich produzierten Wohlfahrt besser profitiert. Und damit wäre man beim Finanzierungsgesetz, über das in den zurückliegenden Monaten viel geredet wurde, und bei dessen Neufassung man sich anscheinend zwischen flämischen und französischsprachigen Parteien deutlich näher gekommen ist.
Bild: belga