"Pure Provokation", "Geringschätzung des Rechtssystems", "Unterminierung des Rechtsstaates": Die Leitartikler in den flämischen Zeitungen reagieren heute doch ziemlich wütend angesichts der jüngsten Ereignisse beim Prozess gegen frühere Mitglieder der rechtsextremen Jugendorganisation Schild & Vrienden.
Begonnen hatte alles vor etwas mehr als fünf Jahren. Im September 2018 hatte das VRT-Fernsehmagazin Pano der Organisation regelrecht die Maske abgerissen. Schild & Vrienden galt bis dahin noch als ein Verein von jungen Menschen, der zwar sehr weiß, sehr männlich und sehr flämisch-nationalistisch bis hin zu rechtsextremistisch war, hart an der Grenze, aber eben nicht drüber. Schild&Vrienden präsentierte sich als gemeinnütziger Verein, der sich quasi das Pfadfinder-Ideal an die Fahne geheftet hatte, nach dem Motto also: "Jeden Tag eine gute Tat".
Pano konnte aber einen Blick hinter die Kulissen werfen - und schaute dabei in Abgründe. Vor allem eine interne Chat-Gruppe hatte es in sich: Da machten angebliche "Witze" die Runde, sogenannte Memes, die einen zutiefst rassistischen Charakter hatten. Oft wurde auch der Holocaust relativiert, manchmal auch verhöhnt. Die Reportage sorgte seinerzeit für einen Sturm der Entrüstung. Menschenrechtsgruppen und auch jüdische Organisationen reichten Klage ein.
Im Mittelpunkt stand dabei Dries Van Langenhove. Er war Chef und Mitbegründer von Schild & Vrienden, nannte sich selbst - nach dem Vorbild von Videospielen - der "Endboss". Kaum war die Sache ans Licht gekommen, da kandidierte er auf einer Liste des rechtsextremen Vlaams Belang und wurde 2019 in die Kammer gewählt. Seine Anwälte haben alles getan, um ein Verfahren zu verhindern oder zumindest zu verzögern. Als dann doch endlich ein Prozesstermin angesetzt wurde, trat Van Langenhove von seinem Abgeordneten-Mandat zurück.
Doch gelang es der Verteidigung, den Prozess erstmal wieder auf Eis zu legen: Sie stellte einen Befangenheitsantrag gegen den zuständigen Richter. Dieses Gesuch wurde inzwischen vom Appellationshof abgewiesen. Ein Einspruch vor dem Kassationshof war nicht möglich, also konnte der Prozess nun doch endlich beginnen.
Anwalt Rieder mit Kippa
Hans Rieder, der Anwalt von Dries Van Langenhove, gab sich dabei aber als ganz schlechter Verlierer. Das fängt schon bei seinem Auftreten an: Rieder trug im Gerichtssaal eine jüdische Kippa. Hans Rieder ist nicht jüdischen Glaubens. Und auch ansonsten gab es wirklich keinen Grund dafür. Naja, aber er habe doch das Recht dazu, sagte Rieder in der VRT. Er habe die Freiheit, eine Kippa zu tragen. Und wenn er das mache, nun, dann mache er das sehr bewusst, dann verfolge er damit auch eine Absicht. Was genau er mit der Kippa bezweckte, das wollte Rechtsanwalt Rieder dann aber doch nicht sagen.
Allgemein wurde die Aktion aber als reine Provokation bewertet, denn unter den Nebenklägern in dem Verfahren sind auch jüdische Organisationen. Es kann also mindestens der Eindruck entstehen, als habe Hans Rieder die Zivilparteien noch zusätzlich verhöhnen wollen. "Es ist schon krass, dass man hier im Gerichtssaal erst nochmal daran erinnern muss, was genau der Holocaust eigentlich war", empörte sich denn auch Toon Deschepper, der einige Nebenkläger in dem Verfahren vertritt. "Und dann trägt der Vertreter der Gegenpartei auch noch eine Kippa."
Aber nicht genug damit: Hans Rieder will sich zudem dem Urteil des Appellationshofes nicht beugen, der ja seinen Befangenheitsantrag abgelehnt hatte. Der Anwalt bleibt dabei, dass der Richter befangen ist, dass das Gericht demzufolge also "illegal zusammengestellt" wurde. Und deswegen verzichtet er auf ein Plädoyer, verweigert also die Mitarbeit.
Stattdessen kündigte er schon jetzt an, in Berufung zu gehen, also bevor überhaupt ein Urteil gefallen ist. "Es sei denn natürlich, mein Mandant wird freigesprochen. Man will es ja mal nicht ausschließen." Zwischen den Zeilen steht hier die Mär vom politischen Prozess: Rieder und Van Langenhove wollen offensichtlich den Eindruck vermitteln, dass hier jemand mundtot gemacht werden soll. Van Langenhove hat längst damit begonnen, sich als Märtyrer zu inszenieren.
Die Staatsanwaltschaft hat jedenfalls zwei Jahre Haft für Van Langenhove gefordert wegen Verstößen gegen die Anti-Rassismus-Gesetzgebung, Negationismus und unerlaubten Waffenbesitzes. Das Urteil soll am 12. März fallen.
Roger Pint