Die Anwaltskammern beklagen seit Längerem, dass auch Rechtsanwälte in ihrem Alltag Gewalt erfahren, die mit ihrem Beruf zusammenhängt. In einer Umfrage der flämischen Anwaltskammer geben 80 Prozent der Rechtsanwälte an, dass sie allein in den letzten beiden Jahren verbale Gewalt erfahren haben, 20 Prozent auch physische. Und bedroht wurden demnach mehr als ein Drittel. Mitunter richten sich die Drohungen auch gegen die Familien, also Kinder der Betroffenen. Die Tendenz sei sogar steigend. Zwei Fünftel der Anwälte überlegen sogar, den Beruf wegen der immer häufigeren Aggressionen aufzugeben.
Bei Richtern oder Staatsanwälten kann man noch nachvollziehen, dass sie sich Feinde machen, wenn sie Straftäter hinter Gitter bringen. Dass auch Anwälte betroffen sind, mag auf den ersten Blick überraschen. Die Betroffenen befürchten, dass viele Menschen die Rolle von Anwälten missverstehen. Anwälte verteidigen nicht die Tat, sondern vertreten die Interessen der beschuldigten Person.
Ein Anwalt, der einen Dschihadisten verteidigt hat, berichtet am Montag in der Zeitung Het Laatste Nieuws, dass er im Zuge seines Mandats eine Pistolenkugel in seinem Briefkasten gefunden habe. Aber auch bei Familienstreitigkeiten wie Scheidungen und Sorgerechtsangelegenheiten kochen die Emotionen so hoch, dass manche die Kontrolle verlieren. Es gebe eine Form der Normverwischung. Jeder glaube, die Wahrheit zu kennen und will einen verbal oder sogar physisch belehren, so die Analyse eines Anwalts.
Einige Anwälte fordern härtere Strafen. Richtet sich Gewalt gegen Magistrate, gilt das hierzulande als strafverschärfender Umstand. Anwälte fallen nicht unter diese Regelung, zumindest noch nicht. Einige Anwälte wollen, dass das geändert wird. Andere glauben nicht, dass eine Strafverschärfung sie vor Gewalt schützt. Stattdessen wollen sie, dass die Anwaltskammern sich einschalten, wenn Anwälte bedroht werden. Die Kammern sollen ihre Mitglieder dann vertreten und rechtliche Schritte gegen Täter vornehmen. Das wäre ein starkes Signal, heißt es.
Mord an Rechtsanwältin: Staatsanwaltschaft verbreitet Phantombild des mutmaßlichen Täters
hln/okr