"Wir sind schließlich ein souveränes Land." Diesen Satz, leicht genervt vorgetragen, hört man in diesen Tagen häufiger mal aus Rabat. Denn die halbe Welt stellt sich derzeit die Frage, warum Marokko partout keine Hilfe aus dem Ausland akzeptieren will.
Mit einigen wenigen Ausnahmen: Helfer aus Spanien, Großbritannien, Katar und den Vereinigen Arabischen Emiraten wurden ins Land gelassen. Und auch Saudi-Arabien wurde in die Bemühungen mit einbezogen.
"Warum diese Staaten und nicht die anderen?" Das fragt man sich auch und vor allem in Frankreich und Belgien, wo es große marokkanische Gemeinschaften gibt, die auch frustriert darüber sind, dass ihre Gastländer außen vor bleiben müssen.
Da müsse man aber überhaupt nichts rein interpretieren, beteuerte in der RTBF Mohammed Ameur, der marokkanische Botschafter in Belgien. Sein Land habe, wie international üblich, eine Bedarfsanalyse vorgenommen: "Welche Hilfe brauchen wir?"
Und auf dieser Grundlage habe man dann Länder ausgesucht, die eben diese benötigte Unterstützung angeboten haben. Und das müsse niemand persönlich nehmen, sagt der Botschafter. Denn das heiße ja nicht, dass man nicht in einer zweiten Phase auf andere der 60 Länder zurückkommen werde, die Hilfe angeboten haben.
Lahbibs Argumentation nur bedingt schlüssig
Genau davon ist Belgien schon ausgegangen. Es sei offensichtlich, dass die marokkanischen Behörden in einer ersten Phase der Suche nach Überlebenden absolute Priorität einräumen, sagte Außenministerin Hadja Lahbib in der RTBF. Entsprechend habe man denn auch erstmal Helfer ins Land gelassen, die auf diese Arbeit spezialisiert sind.
Und man gehe davon aus, dass Länder wie Belgien dann in einer zweiten Phase zum Zug kommen, wenn es darum geht, den Obdachlosen ein Dach über dem Kopf zu geben. Belgien habe denn auch schonmal entsprechende Bestellungen getätigt: Zelte, Feldbetten, Decken und andere Dinge. "Wir sind einsatzbereit", sagt Lahbib.
Die Argumentation der belgischen Außenministerin ist aber nur bedingt schlüssig. In dem Sinne, dass auch noch andere Länder durchaus auf Search and Rescue-Operationen spezialisiert sind, also auf die Suche nach Verschütteten. Das gilt in erster Linie für Deutschland, die Niederlande oder die Schweiz. Deren Rettungs- und Bergungsteams haben Weltruf.
"Mag ja alles sein. Aber, wir gehen nunmal von dem folgenden Prinzip aus 'Zu viel Hilfe tötet die Hilfe'", sagt der Botschafter. Dafür gebe es genügend Beispiele in der jüngeren Vergangenheit, etwa in Haiti, in Italien oder zuletzt auch in der Türkei.
"Dort hat man gesehen: Wenn zu viele Helfer auf einmal in ein Land wollen, dann entsteht ein regelrechter Stau." Und das könne katastrophale Auswirkungen auf das Krisenmanagement haben.
Westsahara der Knackpunkt?
"Nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz richtig", reagieren aber Fachleute. Denn, man könnte die Helfer ja dosiert ins Land lassen. Stattdessen passiere jetzt gar nichts. Und deswegen reagiert man in vielen Ländern denn auch ungläubig auf die Darlegungen aus Rabat.
Immer wieder fällt da der Begriff "Westsahara". Die frühere spanische Kolonie liegt südlich von Marokko. Rabat erhebt Anspruch auf das Gebiet, nur wird diese Forderung längst nicht überall unterstützt. Und der Verdacht steht im Raum, dass Marokko nur die Hilfe der Staaten akzeptiert hat, die Rabat in dieser Sache wohlwollend gesonnen sind.
"Unsinn!", reagiert der marokkanische Botschafter. Belgien sei Beweis für das Gegenteil, denn Belgien stelle sich hier nicht quer. Bestätigung von Außenministerin Hadja Lahbib: Sie sehe wirklich keinen Grund für eine mögliche Verstimmung, sagte die MR-Politikerin. Sie selbst habe vor einem Jahr in Rabat noch eine neue belgische Botschaft eingeweiht.
"Im kommenden Jahr begehen wir die 60 Jahre des Einwanderungsabkommens und auch die bilateralen Beziehungen sind gesund." Lahbib sieht keinen unmittelbaren Anlass, warum Marokko das belgische Hilfsangebot ausschlagen sollte. Legitime Bedenken, politische Erwägungen oder schlicht und einfach Missmanagement? Die Frage ist derzeit wohl nicht zu beantworten.
Roger Pint