Alles hänge miteinander zusammen, erklärt Ine Van Wymersch. Wo es Kokain gebe, gebe es auch Crack, so die Drogenkommissarin im Interview mit Radio Eén. Denn die extrem schnell süchtig machende Droge Crack wird aus Kokain hergestellt. Crack richtet sich vor allem an verarmte Menschen, an Menschen die unter denkbar prekären Umständen leben. Ein typisches Beispiel sind Obdachlose beziehungsweise Flüchtlinge, die auf der Straße leben. Diese Menschen seien die primäre Zielgruppe der Crackdealer. Und obdachlose Menschen konzentrierten sich naturgemäß an Orten, die leicht zugänglich seien und ihnen Schutz böten – Orten also wie dem Brüsseler Südbahnhof.
Damit sind wir bei der Wurzel des Problems: Weil sich ihre Kundschaft am Bahnhof aufhält, zieht es auch die Dealer dorthin und damit die Gewalt. Die Drogensüchtigen selbst sind ständig auf der Suche nach der nächsten Dosis Crack - und dafür brauchen sie Geld. Betteln oder Diebstahl und Raub sind deswegen der übliche Pfad, den sie einschlagen. Die zugedröhnten und aggressiven Süchtigen sorgen dann natürlich für ein großes Gefühl der Unsicherheit, sowohl unter Reisenden als auch unter Anwohnern. Außerdem verursacht die Herstellung beziehungsweise der Konsum des Cracks auch viel Abfall, deswegen hat die Krise auch einen Hygiene- und Sauberkeitsaspekt.
All das hat zu immer mehr Rufen nach einem harten Durchgreifen von Polizei und Justiz geführt, nicht nur am Brüsseler Südbahnhof. Aber allein auf Strafverfolgung zu setzen, macht für Van Wymersch wenig Sinn angesichts der Lebensumstände der Süchtigen – auch wenn Polizei und Justiz natürlich eine Rolle zu spielen haben.
Gemeinsame Anstrengungen
Den Süchtigen müsse aber auch geholfen werden, sie müssten versorgt und untergebracht werden – und es müsse auf Prävention gesetzt werden. Und es gibt noch eine dritte Achse: Infrabel und die Bahn müssten auch die Infrastruktur unter die Lupe nehmen. Denn aktuell gebe es zum Beispiel viel zu viele leicht zugängliche Ein- und Ausgänge, die Obdachlose anzögen, und Drogenverstecke für die Dealer.
Die nationale Drogenkommissarin hat deshalb die Aufgabe bekommen, sich zunächst ein präzises Bild von der Lage vor Ort zu verschaffen. Dabei will sie auf die Zahlen und Daten nicht nur der lokalen und föderalen Polizei zurückgreifen, sondern beispielsweise auch von ehrenamtlichen, lokalen Hilfsorganisationen. Das Ziel sei, alle Beteiligten auf den gleichen Kenntnisstand zu bringen, denn allen sei klar, dass dieses Problem nur durch gemeinsame Anstrengungen aller Betroffenen gelöst werden könne.
"Drogenfonds" nach spanischem Vorbild
Das größte Problem ist dabei natürlich der Mangel an Mitteln und Personal. Und der Drogenkommissarin ist absolut klar, wie klamm die öffentlichen Kassen sind. Es gebe aber Möglichkeiten, an Geld zu kommen, man müsse eben kreativ werden.
Das nationale Drogenkommissariat werde diese Möglichkeiten ausarbeiten und den Verantwortlichen vorstellen. Nach spanischem Vorbild könne man etwa über einen "Drogenfonds" nachdenken, der sich aus beschlagnahmten Drogengeldern speise. Dieses Geld könne dann sowohl Polizei und Justiz als auch Hilfsorganisationen zugutekommen.
Wichtig ist der Drogenkommissarin aber auch noch ein anderer Punkt: Sie wisse, dass Crack unter anderem auch am Brüsseler Nordbahnhof und in Lüttich zu einem immer größeren Problem werde. Dort und sicher auch an anderen Orten, die mit Crack und seinen Folgen zu kämpfen hätten, könne das, was man jetzt am Südbahnhof lerne, in puncto Analyse, Darstellung und Lösungen hilfreich sein, so Ine Van Wymersch.
Boris Schmidt