"Pinkel-Vorfall", "Pinkelaffäre", "Pipi-Gate", "Watergate" – an fantasievollen Namen mangelt es jedenfalls ganz sicher nicht für die im wahrsten Sinne des Wortes feuchtfröhliche Nacht vom 14. auf den 15. August im westflämischen Kortrijk. In der ursprünglichen Version der Ereignisse war die Rede von drei Partygästen, die einmalig an ein leeres Polizeifahrzeug uriniert hatten, das dort als Abschreckungsmaßnahme stand. Der Justizminister selbst hat von Anfang an vehement bestritten, etwas davon mitbekommen zu haben, er habe wie der Rest der Welt erst aus den Medien davon erfahren.
Aber seit Montag ist die ganze Affäre in eine Stromschnelle geraten. Der flämische öffentlich-rechtliche Rundfunk VRT hat berichtet, dass das Fehlverhalten verschiedener Gäste wohl viel umfangreicher ist als ursprünglich berichtet. Und dass die Überwachungskameras der Polizei einige Stunden nach den Pinkel- und anderen Vorfällen auch den Justizminister selbst gefilmt haben vor seinem Haus und am betroffenen Polizeifahrzeug in Begleitung eines Gastes. Wohlgemerkt nicht beim Urinieren oder ähnlichen, eindeutig verwerflichen Aktionen. Aber die Bilder haben ernste Zweifel aufkommen lassen, ob Van Quickenborne wirklich nichts von dem Pinkel-Vorfall mitbekommen haben kann.
Aber Van Quickenborne lässt sich davon nicht beirren, wie er noch am gleichen Abend auch der VRT gegenüber deutlich gemacht hat. Die Bilder der Überwachungskameras ließen falsche Schlüsse zu, so der Minister, insbesondere im Licht der anderen Vorfälle, die sich Stunden vorher ereignet hatten. Er habe nicht gelogen und stehe zu allem, was er zu den Vorfällen gesagt habe.
Die Interpretation der Videoaufnahmen, die in den Medien verbreitet werde, sei nicht korrekt. Konkret geht es dabei um Berichte, dass Van Quickenborne sich am Polizeifahrzeug festgehalten und dabei zur Unterhaltung eines anderen Gastes Urinieren imitiert beziehungsweise simuliert haben soll. Dann hätten sich die beiden Männer Bilder auf dem Handy des Ministers angesehen und sich darüber amüsiert. Und schließlich habe Van Quickenborne auch noch die Tür des Polizeifahrzeugs geöffnet.
Diese Darstellung bestreitet der Minister aber. Er habe vielleicht für Außenstehende seltsame Bewegungen vollführt, er habe auch auf sein Handy geschaut, er habe ein Selfie gemacht mit seinem Begleiter und wahrscheinlich habe er dabei auch gut gelacht. Es sei schließlich sein Geburtstag gewesen und er habe auch ordentlich Bier getrunken, daran sei ja wohl nichts Verwerfliches. Und die Tür des Polizeiautos habe er nur kurz geöffnet, um sie richtig verschließen zu können, sie sei nämlich offen gestanden.
Das sehen seine politischen Gegner aber logischerweise anders, aus der Opposition hat es bereits mehr oder weniger deutliche Rufe nach seinem Rücktritt gegeben. Und auch aus den Reihen der Polizeigewerkschaften ist scharfe Kritik zu hören. Die eigene Partei und die Koalitionspartner in der Vivaldi-Regierung halten sich derweil bedeckt und wollen die Ergebnisse der Ermittlungen abwarten.
Zwischenzeitlich hat die Affäre aber schon so viel politischen Staub aufgewirbelt, dass der Kammerausschuss für Justiz Van Quickenborne für Donnerstagnachmittag einbestellt hat. Dafür unterbrechen die Abgeordneten sogar ihre Sommerpause.
Es gebe Unklarheiten über die Vorfälle selbst und die Aussagen des Ministers darüber, so die Vorsitzende des Kammerausschusses, Kristien Van Vaerenbergh von der N-VA. Van Quickenborne werde deswegen in das Parlament geladen, um sich zu erklären.
Justizminister Van Quickenborne hat derweil aber offenbar beschlossen, in die Offensive zu gehen. Vor laufenden Kameras hat der Justizminister einem Team des privaten flämischen Fernsehsenders VTM Aufnahmen seiner eigenen Überwachungskameras vorgespielt. Diese Aufnahmen stützen die früheren Aussagen des Ministers. Sie zeigen zum Beispiel, wie Van Quickenborne zur fraglichen Zeit ein Selfie macht, sie zeigen auch, dass gewisse seltsame Bewegungen des Ministers erstens nicht am Polizeifahrzeug stattgefunden haben und zweitens nicht eindeutig als imitiertes Pinkeln gelesen werden können. Und sie zeigen, dass Van Quickenborne die Autotür nur kurz öffnet, um sie direkt wieder zu schließen.
Ob diese Flucht nach vorn allerdings reichen wird, um die Kritiker und Zweifler Van Quickenbornes zum Schweigen zu bringen muss abgewartet werden.
"Pinkel-Vorfall": Überwachungsvideo bringt Justizminister Van Quickenborne in Erklärungsnot
Boris Schmidt