Dirk Devroey ist sicher einer der letzten, der behaupten würde, dass es personell gut bestellt ist um die medizinische Grund- und Fachversorgung in Belgien. Denn schließlich ist er nicht nur selbst Hausarzt, sondern auch noch einer der bekanntesten Professoren für Allgemeinmedizin im Land. Früher sei der Ärztemangel ja noch auf bestimmte Regionen beschränkt gewesen, sagte Devroey der VRT. Aber mittlerweile gebe es überall im Land zu wenige Mediziner, in allen Krankenhäusern und in allen Städten.
Hinzu kommt das allgegenwärtige Problem der Vergreisung: Immer mehr Ärzte müssen kürzertreten oder scheiden ganz aus dem Berufsleben. Und die Aussichten sind unter den aktuellen Bedingungen auch nicht gut, dass Belgien das Problem aus eigener Kraft lösen wird. Angesichts der hohen Nachfrage nach Ärzten und der demographischen Entwicklung sei man also sehr froh, dass ausländische Ärzte zum Arbeiten nach Belgien kämen, so Devroey.
Laut Zahlen der OECD, die die Zeitungen Het Laatste Nieuws und De Morgen zitieren, sind es mittlerweile über 10.000. Und die Tendenz ist eindeutig, allein in den letzten elf Jahren hat sich ihre Zahl fast verdoppelt. Bezogen auf die Gesamtzahl aktiver Ärzte in Belgien machen Ausländer mittlerweile 14 Prozent aus. Berücksichtigt man dann noch die Tatsache, dass viele von ihnen jung sind und deshalb mehr arbeiten als ihre alternden belgischen Kollegen, dann stemmen ausländische Ärzte sogar schon ein Viertel des Gesamtpensums.
Sprache und Qualität
Aber man dürfe die Augen dennoch auch nicht vor den Problemen verschließen, die das mit sich bringe, so Devroey. Nicht immer könne garantiert werden, dass die ausländischen Ärzte sprachlich und fachlich ausreichend qualifiziert seien. Es sei erwiesen, dass Menschen mit ihren Ärzten nun einmal am liebsten in ihrer Muttersprache kommunizierten, das sei nicht nur wichtig für ein vertrauensvolles Verhältnis, sondern auch für korrekte Diagnosen und Behandlungen. Um in Belgien als Arzt zu arbeiten, sei aber kein Nachweis von Sprachkenntnissen erforderlich, nur ein medizinisch relevanter europäischer Abschluss.
Aus rein fachlicher Sicht macht dem Professor vor allem Sorgen, dass immer mehr Ärzte aus Ost- und Südosteuropa kommen. Rumänien beispielsweise wird als Herkunftsland sowohl Frankreich als auch die Niederlande bald überflügeln. Längst nicht bei allen europäischen Universitäten könne man davon ausgehen, dass die vermittelten Medizinkenntnisse ausreichend seien, sagt Devroey. Die flämische Ärztevereinigung Domus Medica fordert deshalb beispielsweise auch, dass auf europäischer Ebene regulatorisch eingegriffen wird, um die Qualität der Gesundheitsversorgung zu schützen.
Und noch etwas wäre für Devroey sinnvoll: Nämlich dass ausländische Ärzte, die in Belgien arbeiten, auch geschult werden, was die Arbeitsweise der hiesigen Gesundheits- und Sozialsysteme angeht.
Generell sei es auch sehr schwierig nachzuvollziehen, warum Belgiern noch immer so hohe Hürden in den Weg gelegt würden, wenn sie Medizin studieren wollten, Stichwort Zugangsprüfungen und Quoten. Diese Praxis schade dem belgischen Gesundheitswesen, warnt Devroey.
Boris Schmidt