Die Antwort, warum Fluglinien ihre Maschinen systematisch überbuchen, ist so einfach wie logisch: Es geht um Geld. Profit machen Fluglinien erst, wenn ihre Maschinen zu 99 oder 100 Prozent gefüllt sind, erklärt Jean-François Defour, Sprecher der Reisebüro-Vereinigung UPAV, in der RTBF. Deswegen sei es sehr wichtig, so nah wie möglich an diese 100 Prozent zu kommen.
Das Problem ist dabei aber, dass die meisten Passagiere ihre Tickets schon Monate im Voraus kaufen. Wie es halt so ist, kann in der Zeit zwischen Buchung und Reisetermin viel passieren. Manche Passagiere ändern zum Beispiel ihr Reiseziel, andere werden krank - mögliche Gründe gibt es wie Sand am Meer. Einige von ihnen sagen ihren Flug dann ab oder buchen um, die Airlines sind zumindest informiert, selbst wenn dies häufig sehr kurzfristig geschieht. Andere wiederum tauchen einfach nicht auf zu ihrem Flug, sprich bis zum tatsächlichen Abschluss des Boardings weiß die Fluggesellschaft nicht, dass es sich um sogenannte "No shows" handelt. Vom vergessenen Pass oder Ausweis bis hin zum Steckenbleiben im Verkehr auf dem Weg zum Flughafen gibt es auch dafür unzählige mögliche Gründe.
Vorhersagemodelle
Aber so vielfältig und unvorhersehbar sie auch individuell sein mögen: Alle diese Fälle werden erfasst und dank immer modernerer Technologien zu Vorhersagemodellen verarbeitet. So können die Fluglinien genau ausrechnen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass jemand zwischen Buchung und Abflug abspringt oder umbucht. Das Gleiche gilt auch für spontane "No shows".
Diese Wahrscheinlichkeiten sind natürlich nicht immer gleich groß: Geschäftsreisende etwa verhalten sich anders als Urlauber, einzelne Reisende anders als Familien oder Gruppen, der Ticket-Typ spielt eine Rolle und sicher nicht zuletzt die Länge der Reise. Aber Fakt ist, dass die Airlines eben wissen, dass bis zu fünf Prozent der Passagiere oder sogar mehr wohl nicht zu einem bestimmten Flug erscheinen werden.
Aus wirtschaftlichen Gründen seien die Fluglinien also gezwungen, 105 bis 110 Tickets zu verkaufen, um eine Maschine mit 100 Plätzen tatsächlich vollzubekommen. Normalerweise - und das sagt viel über die Zuverlässigkeit der verwendeten Modelle - bekommen die Passagiere nichts von all dem mit. Aber eben nicht immer. Oder wie Defour es formuliert: Auch wenn die Vorhersagemodelle sehr robust seien, könne es vorkommen, dass die Realität sie manchmal schlage. Im Klartext: Es stehen mehr Passagiere am Gate, als ins Flugzeug passen.
Bei Überfüllung zwei Möglichkeiten
Dann gibt es im Prinzip nur zwei Möglichkeiten: Entweder das Airline-Personal schafft es, Menschen zu finden, die freiwillig auf den Mitflug verzichten. Wenn es hart auf hart kommt, können die Verantwortlichen nach unterschiedlichen Kriterien aber auch einfach bestimmen, wer am Boden bleiben muss.
Meist laufe das sehr korrekt ab, unterstreicht der Reisebüro-Sprecher, es fänden sich eigentlich fast immer Menschen, die bereit seien, einen späteren Flug zu nehmen - auch weil sie wüssten, dass sie dafür eine Entschädigung bekämen. Diese Entschädigung ist gesetzlich geregelt und beträgt je nach Fluglänge zwischen 250 und 600 Euro. Zusätzlich zu einem Ersatzflug und der Übernahme von Kosten wie etwa für Mahlzeiten, Unterbringung und Transport wohlgemerkt. Wenn das nichts bringt, können auch noch weitere Anreize ins Spiel kommen, bei Pauschaltouristen und einem überbuchten Rückflug beispielsweise eine kostenlose Verlängerung des Urlaubsaufenthalts.
Die Entschädigungsangebote können unter Umständen sogar so interessant sein, dass sich gewisse Leute sogar schon ein einträgliches Hobby daraus gemacht haben sollen: Erst am Mittwoch hat die Zeitung La Libre Belgique über einen Mann berichtet, der gezielt günstige Tickets für Flugverbindungen kauft, die regelmäßig überbucht sind.
Boris Schmidt