Die Sitzung des Kammerausschusses für auswärtige Angelegenheiten am Mittwoch war ein Spießrutenlauf für die MR-Außenministerin. Er ist auch noch nicht zu Ende, denn nun hängt ein Misstrauensvotum über dem Kopf von Lahbib. Und die eigenen Koalitionspartner von den Sozialisten und Grünen weigern sich, den Misstrauensantrag durch einen eigenen einfachen Antrag der Mehrheit wegzustimmen. Wann und wie es weitergeht, ist aktuell noch offen, die Rede ist aber erst von nächster Woche. Falls Lahbib bis dahin nicht von selbst den Hut nimmt natürlich.
Zwischenzeitlich, also bis über diese Anträge abgestimmt worden ist, sind die am Mittwoch heiß diskutierten Iran-Visa laut Reglement der Kammer tabu, wie Kammerpräsidentin Eliane Tillieux die Abgeordneten direkt zu Beginn der Plenarsitzung erinnerte. Sehr wohl gesprochen werden durfte aber über zwei Punkte, die sich aus dem Fiasko von Mittwoch ergeben, nämlich einmal die daraus resultierende Vertrauenskrise innerhalb der Regierungskoalition und der mögliche Imageschaden für Belgien auf der internationalen Bühne.
Aber selbstverständlich haben sich die Volksvertreter aus den Reihen der Opposition von dieser Ermahnung der Vorsitzenden nur sehr bedingt abschrecken lassen, wie François De Smet von Défi nur ein paar Sekunden später klarmachte. Es sei schon ausgesprochen schwierig, über die Regierungskrise zu sprechen, ohne die Gründe für diese Krise zumindest in paraphrasierter Form zu nennen, so De Smet, bevor er den Premier stellvertretend für die nicht anwesende Außenministerin erneut noch sachlich aber bestimmt für die Erteilung der Visa kritisierte.
Für Sachlichkeit und Zurückhaltung sind weder der Vlaams Belang noch Barbara Pas bekannt, die mit Genuss dann weiter Salz in die Wunde streute: Ministerin Lahbib habe wohl noch nicht den neuen deontologischen Code der Regierung gelesen, giftete Pas. Darin stehe ja nicht nur, dass Mitglieder der Regierung stets mit Respekt auftreten müssten, sondern vor allem auch mit Integrität – und das beinhalte Ehrlichkeit. Aber Lahbib habe sich am Mittwoch bei ihren vagen und teils sehr arroganten Erklärungsversuchen fast nie bei einer Wahrheit erwischen lassen.
Ecolo-Staatssekretärin Sarah Schlitz habe wegen einer Lüge vor dem Parlament gehen müssen, erinnerte Pas. Lahbib habe nach Zählung von Melissa Depraetere von Vooruit aber schon fünf Mal gelogen und das innerhalb der ersten fünf Minuten. Lahbib habe am Mittwoch ja auch Geburtstag gehabt, ein Lügendetektor wäre also vielleicht ein passendes Geschenk gewesen.
Nicht das einzige Mal übrigens, dass am Donnerstag Vergleiche zwischen dem Schlitz-Rücktritt und dem Noch-nicht-Rücktritt von Lahbib gezogen wurden. Den beziehungsweise seine Gründe beschwor nämlich auch Peter De Roover von der N-VA. De Croo habe keine Antwort darauf, warum Schlitz nicht habe lügen dürfen, Lahbib aber sehr wohl. Das sei Messen mit zweierlei Maß. Und es werde sicher interessant sein zu sehen, wie die grünen Koalitionspartner De Croos das fänden in den nächsten Tagen, wenn es um das Schicksal der MR-Außenministerin gehe. Dass sich der gewiefte De Roover die Chance nicht entgehen lassen würde, um sowohl der Vivaldi eins reinzuwürgen, als auch die grünen Intimfeinde der N-VA zur Weißglut zu reizen, war natürlich zu erwarten.
Aber apropos Intimfeinde und interne Spannungen befeuern, hier wollte sich auch Steven De Vuyst von der PVDA-PTB nicht lumpen lassen. Die MR-Politikerin Lahbib sei wohl in der letzten Woche so damit beschäftigt gewesen, den sozialistischen Brüsseler Staatssekretär Pascal Smet zu torpedieren in der Iran-Affäre, dass sie keine Zeit mehr gehabt habe, um ihre eigenen Erklärungen gut vorzubereiten.
Aber allen scharfen Angriffen und Forderungen nach dem Rücktritt von Lahbib zum Trotz: Der Chef der Vivaldi scheint weiterhin nicht geneigt, die Außenministerin abzusägen. Es gebe keine Krise innerhalb der Regierung, so das Mantra De Croos, weder wegen Lahbib noch wegen der großen Reformprojekte, über die man weiter konstruktiv verhandele.
Boris Schmidt