Ist sie es, oder ist sie es nicht? Diese Frage beschäftigt die Historiker an der Uni Gent schon seit 20 Jahren. "Sie", das ist Judith von Frankreich. So wird sie heute genannt. Betrachtet man die geopolitischen Verhältnisse im mittelalterlichen Europa des 9. Jahrhundert, dann müsste sie eigentlich Judith von Westfranken heißen, denn Frankreich gab es noch nicht.
Judith von Frankreich war die Tochter von Karl dem Kahlen. Und der wiederum war der Enkel von keinem Geringeren als Karl dem Großen. Diese Judith von Frankreich hatte ein bewegtes Leben. Zweimal wurde sie von ihrem Vater verheiratet; zweimal wurde sie nach kurzer Zeit Witwe. Als Karl der Kahle sie zum dritten Mal vermählen wollte, floh sie; andere würden sagen: Sie brannte durch. Und zwar mit Balduin, der später zum ersten Grafen der neuen Grafschaft Flandern wurde. Die Tatsache, dass sie in direkter Linie von Karl dem Großen abstammte, gab dem neuen Herrscherhaus zusätzlichen Glanz. Mit Balduin hat sie zwei Söhne.
"Viel mehr wissen wir aber nicht von Judith von Frankreich", sagte in der VRT Prof. Dr. Steven Vanderputten, Mittelalterhistoriker an der Uni Gent. Nach ihrer Hochzeit im Jahr 864 verschwindet sie vollständig aus den historischen Quellen. Bis vor 20 Jahren auf dem Sint-Pietersplein im Herzen der Genter Altstadt ein Grab entdeckt wird. Darin findet man unter anderem die sterblichen Überreste einer Frau. Das Grab lag im Eingangsbereich einer Kirche, was darauf schließen lässt, dass dort extrem wichtige Personen beigesetzt wurden: die Eliten ihrer Zeit. Und unter anderem deswegen stand die These im Raum, dass es sich bei der Frau wohl um Judith von Frankreich, also die erste Gräfin von Flandern gehandelt haben könnte.
"Wir wussten also, dass die sterblichen Überreste an einem Ort gefunden wurden, der allein dem Hochadel vorbehalten war", sagt Steven Vanderputten. "Wir wussten auch, dass die Person mehr und weniger zum fraglichen Zeitpunkt gelebt hat, also etwa im 9. Jahrhundert. Und wir wussten, dass es sich um eine Frau mittleren Alters gehandelt haben muss. Und all das passt auf Judith von Frankreich."
Ist es Judith, oder ist sie es nicht? Wirklich nachgegangen ist man dieser These nie. Zum Zeitpunkt der Entdeckung des Grabes ging man davon aus, dass insbesondere die Genforschung noch nicht weit genug war. Die Geschichts-Doku "Het verhaal van Vlaanderen", die in Flandern ein Riesenerfolg war, sorgte aber dafür, dass das Interesse an dem Fund neu entfacht wurde. Steven Vanderputten kontaktierte eine Reihe von Kollegen an seiner Uni und stellte so ein Team zusammen. Nicht nur Historiker, auch Fachleute für Bio-Anthropologie und Genforschung.
Die sterblichen Überreste wurden also aus allen heute möglichen Blickwinkeln untersucht. Und die Knochen haben dann doch eine ganze Reihe von Informationen preisgegeben. Anhand der Zähne konnte man zum Beispiel beweisen, dass die betreffende Person in ihrer Kindheit keinerlei Stressphasen erlebt hat: weder schwere Krankheit, noch Mangelernährung. Sie musste also aus privilegierten Kreisen kommen. Und die Zähne scheinen auch einen Teil ihrer Biographie zumindest nicht zu widerlegen: Judith hat eine Zeitlang in England gewohnt, wo sie zweimal verheiratet war. Und - sehr grob gesagt - scheinen chemische Analysen darauf hinzudeuten, dass sie in mindestens zwei verschiedenen Regionen gelebt hat. Als erwachsene Person muss sie unter ernsten Rückenproblemen gelitten haben, was im Mittelalter nicht unüblich war - und das galt auch für Adelige.
Aber ist sie es nun, oder ist sie es nicht? Nun, wir hatten eine Checkliste erstellt, sagt Professor Vanderputten. Punkte, die es zu bestätigen oder eben zu widerlegen galt: Geschlecht, Alter, die Region, in der sie gelebt hat... "Naja, wir haben diese Punkte abgearbeitet, und alle scheinen - wider Erwarten - auf Judith von Frankreich zuzutreffen."
Kurz gesagt: Man hat nicht beweisen können, dass es sich nicht um Judith von Frankreich handelt. Das beweist natürlich immer noch nicht, dass sie es ist. Gewissheit kann nur ein DNA-Test schaffen. Nur braucht man dafür Vergleichsmaterial. In Aachen befinden sich Reliquien, die Karl dem Großen zugeordnet werden, der ja Judiths Urgroßvater war. Nur: eine DNA-Probe aus Aachen zu bekommen, ist eher unrealistisch, das weiß man auch in Gent.
Aber, ob es sich nun um Judith handelt, oder nicht, sagt Professor Steven Vanderputten: In jedem Fall haben wir jetzt schon sehr viel über das Leben im Frühmittelalter erfahren.
Roger Pint
Die Uni sollte sich den im Internet publizierten 'Meerte'-Stammbaum mal ansehen. Darüber können bestimmt einige noch lebenden Nachkommen von Karl dem Grossen und seinen Ehefrauen (besonders die Hildegard von Vinsgau) ermittelt werden... Mit Zuarbeit des ZVS ergab sich sogar dass die Herrn Von Ouren auch in den Stammbaum eingeheiratet haben, und es heute noch derer Abkömmlinge gibt, in unserer Gegend ! Genetische Analysen könnten da Bestätigung bringen, wobei man wissen muss, dass schon Karl der Grosse und Hildegard von Vinsgau schon Urgrosscousin/-cousine 6. 7. und 8. Grades waren als sie heirateten... und eine der Ur-Urgrossmütter Karl's des Grossen schon eine von 'Oeren' gewesen sein soll.... Diese Erkenntnisse können bestimmt auch hilfreich sein bei den Analysen zur Wichtigkeit der neuentdeckten Burgfestungteilen von St. Vith.
Ein spannednes Thema !