Am Anfang stand die Dutroux-Affäre, das Drama um die entführten Kinder, ihre Misshandlung, ihr Tod. Im Zuge dieser Erfahrung lernte Jean-Denis Lejeune, der Vater der ermordeten Julie, in den USA das National Center for Missing and Exploited Children kennen. Diese private gemeinnützige Einrichtung war vom US-Kongress gegründet worden und stand Pate für die Gründung von Child Focus.
Politische Unterstützung für sein Projekt bekam Lejeune nach dem Weißen Marsch im Oktober 1996. Das Projekt wurde vorbereitet. Am 31. März 1998 war es dann so weit: König Albert, Königin Paola und der damalige Premierminister Jean-Luc Dehaene gründeten offiziell die Stiftung Child Focus.
Schnell fasste sie Fuß. Mehr als 85.000 Fälle hat Child Focus seit ihrer Gründung bearbeitet. Durchschnittlich drei Fälle pro Tag sind es aktuell, erzählte Donnerstagfrüh Nadège Bastiaenen, Koordinatorin des Präventivteams von Child Focus, im Gespräch mit der RFTB.
Weggelaufene Kinder
Dabei hätten sich die Fälle seit der Gründung stark ausdifferenziert. Wenn es in den Anfangsjahren tatsächlich meist um entführte oder sexuell misshandelte Kinder gegangen sei, ginge es heute in den meisten Fällen um Kinder, die von zu Hause weggelaufen seien. Das würde pro Jahr rund 1.500 Mal gemeldet, berichtet Bastiaenen.
Nach den Kindern, die von zu Hause weglaufen, kämen auf Platz zwei der häufigsten Fälle von vermissten Kindern solche Kinder, die von einem Elternteil nach einer Trennung entführt würden. Platz drei sind Flüchtlingskinder, die allein nach Belgien gekommen sind und plötzlich wieder spurlos verschwinden. Platz vier Entführungen von Kindern - entweder durch eigene Verwandte oder Bekannte oder eben auch durch völlig fremde Personen, wie damals bei Dutroux. Das seien die Fälle, die immer noch sehr stark mediatisiert würden, erklärt Bastiaenen.
Die Kategorie mit den wenigsten Fällen seien Kinder, die ohne wirklichen Grund vermisst werden. Wo Eltern und Kinder zum Beispiel in einer bestimmten Situation ungewollt in unterschiedliche Richtungen gelaufen seien, oder wo ein Kind am Rastplatz vergessen wird.
Betreuung der Eltern
Bei all diesen Fällen kommt Child Focus mit ins Spiel. Die Betreuung der Eltern sei dabei eine der Leistungen, die Polizei und Justiz nicht in dem gleichen Maße übernehmen könnten, wie die Stiftung - die sich im Namen der Eltern auch darum kümmert, ob wirklich alles gemacht wird, um das vermisste Kind zu finden. "Wir sind so eine Art Drehscheibe, Ansprechpartner für alle, um wie ein Wachhund sicherzustellen, dass wirklich alles getan wird", sagt Bastiaenen. "In 25 Jahren haben wir unsere Arbeit natürlich auch deutlich professionalisiert."
Wie professionell Child Focus mittlerweile vorgeht, führte die Stiftung am Donnerstag beim Besuch von Königin Mathilde im Atomium vor. Mit zwei Schulklassen zeigten Mitarbeiter von Child Focus im Beisein der Königin, wie sie Kinder im Alter zwischen zehn und zwölf Jahren anhand eines interaktiven Spiels auf mögliche Gefahren von Entführung und sexuellem Missbrauch sensibilisieren.
Ganz vermeiden könne man solche Gefahren allerdings nicht, gab Nadège Bastiaenen zu. Vor allem das Internet stelle eine neue Gefahrenquelle dar. Aber grundsätzlich habe Belgien insgesamt seit der Affäre Dutroux und der Gründung von Child Focus enorme Fortschritte gemacht, wenn es um das Verschwinden eines Kindes geht, so Bastiaenen. "Das wird ernst genommen. Das löst sofort eine ganze Kette von Reaktionen aus, bei der Polizei, Justiz und Child Focus eng zusammenarbeiten. Da gibt es mittlerweile Absprachen und Handlungsprotokolle, um so schnell und effizient wie möglich handeln zu können."
Kay Wagner