Ins Rollen gebracht haben die ganze Affäre zwei junge Armenier, wie die Zeitung De Standaard am Freitag berichtet. Demnach beschwerten sich die beiden notorischen Zocker, die schon länger in Belgien lebten, 2015 bei der Glücksspielkommission in Brüssel. Sie hatten in einem Zeitschriftenladen auf ein Tennisspiel in Armenien gewettet – mit 5.000 Euro Einsatz gewannen sie so 13.000. Theoretisch zumindest. Denn dem Betreiber des Ladens kam die Geschichte verdächtig vor, er blockierte die Konten der beiden Männer.
"Verdächtig" war wohl auch das Wort, das der Glücksspielkommission in den Sinn kam, als sie die Geschichte hörte – und in der Folge auch der Justiz. Warum sollte jemand so hohe Summen auf so unbedeutende Tennisspiele in weit entfernten Ländern setzen?
Relativ schnell rückte ein anderer Armenier ins Fadenkreuz der Ermittler, der in der Brüsseler Stadtgemeinde Saint-Gilles wohnte und der unter dem Spitznamen "Maestro" bekannt war. Er streitet zwar alle Vorwürfe kategorisch ab, aber für die Staatsanwaltschaft steht außer Frage, dass dieser "Maestro" der Kopf einer international und in großem Maßstab agierenden Bande ist.
Mindestens 376 abgekartete Spiele
Sein Netzwerk soll weltweit über 180 professionelle Tennisspieler dazu gebracht haben, bei Spielmanipulationen mitzumachen. Darunter deutsche, französische, amerikanische, ägyptische, bulgarische, slowakische, aber auch mindestens sieben belgische Spieler. Die Rede ist von mindestens 376 so abgekarteten Spielen und Spielphasen zwischen 2014 und 2018, auf die Mitglieder beziehungsweise Strohmänner der Bande Wetten abschlossen. Über acht Millionen Euro sollen sie so ergaunert haben.
Solche internationalen Banden schickten ihre Mitglieder rund um die Welt, erklärte Dirk Deldaele im Interview mit Radio Eén. Er ist Integritätsmanager beim flämischen Tennisverband und als solcher befasst mit dem Kampf gegen Korruption im Sport. Die Mission der Handlanger sei, Spieler, Offizielle und andere relevante Personen zu bestechen.
Niedrig eingestufte Profi-Spieler im Fokus
Dabei hätten sie meist bestimmte Profile im Visier: niedrig eingestufte Profi-Spieler, die bei eher unbekannten Turnieren antreten. Denn diese Art von Spielern verdiene nicht viel und sei deshalb anfälliger für Bestechungsversuche. International Tennis zu spielen, koste viel Geld, so Deldaele, beispielsweise für Ausrüstung, Trainer, Hotels, Flüge und so weiter. Und Tennisspieler hätten ja kein festes Gehalt, sie müssten also quasi jede Woche antreten, um über die Runden zu kommen. Die Ermittler sprechen von zwischen 400 und 3.000 Euro, die gekaufte Spieler für das Verlieren von Matches oder Sets bekommen haben sollen, wobei die Zahlungen sich meist am niedrigeren Ende der Skala bewegt hätten.
Außerdem ist es natürlich grundsätzlich wesentlich einfacher, an solche Spieler heranzukommen als an Weltstars. Und unbekanntere Turniere zu manipulieren, ist risikoloser, als es zum Beispiel bei Wimbledon oder Roland Garros zu versuchen. Platziert würden die Wetten dann ebenfalls rund um den Globus und oft durch Strohmänner, um keinen Verdacht zu erregen. Eine weitere Taktik sei, die Identitäten Dritter zu nutzen, um online zu wetten und die Aufteilung der Wetteinsätze in kleinere Summen mittels mehrerer Benutzerkonten.
Bei ihren Bestechungsversuchen setzten die Verbrecher auch nicht nur auf persönliches Ansprechen und auf Geld, so der Integritätsmanager. Sie versuchten etwa, über die sozialen Medien Druck auf Spieler auszuüben. Das ginge bis hin zu Drohungen, um sie zum Mitmachen zu bringen.
28 Menschen vor Gericht
In Oudenaarde müssen sich seit Freitag insgesamt 28 Menschen vor Gericht verantworten, darunter armenische Mitglieder der Bande, aber auch einige belgische Tennisspieler. Ihnen wird unter anderem Korruption, die Bildung einer kriminellen Vereinigung, Betrug, Geldwäsche, Verstoß gegen das Glücksspielgesetz, Urkundenfälschung und Informatikfälschung zur Last gelegt.
Der Prozess in Belgien deckt übrigens auch nur einen Teil der Geschehnisse ab, denn verhandelt wird nur über Tennis und nur über das, was in Belgien passiert ist. Die Ermittler sollen aber auch Hinweise gefunden haben auf Aktivitäten der gleichen Bande im Volleyball und Basketball-Bereich. In Frankreich werden außerdem noch rund 50 Spieler vor Gericht erscheinen müssen, weil sie verdächtigt werden, an der Manipulation von Spielen beteiligt gewesen zu sein.
Eines scheint die großangelegte Untersuchung aber bereits jetzt erreicht zu haben: Die Zahl der gemeldeten verdächtigen Spiele in Belgien habe sich quasi halbiert, so Dirk Deldaele.
Boris Schmidt