Unterstützung bekommt Vande Lanotte bei dieser Aufgabe durch die beiden Wahlgewinner vom letzten Juni, PS-Parteichef Di Rupo und N-VA-Präsident De Wever.
Es sieht also so aus, als wäre der belgische Kompromiss noch nicht tot, und als hätte man sich wenigstens bei der Frage, wer jetzt verhandelt, auf einen solchen geeinigt. Jetzt geht es darum, inhaltlich einen Kompromiss in institutionellen Fragen und im Vorfeld einer Regierungsbildung herbeizuführen.
Die derzeitige Entwicklung lässt tatsächlich den Schluss zu, dass die schon tot geglaubten Verhandlungen zu siebt doch noch nicht endgültig begraben sind.
CD&V, Groen! , die N-VA und SP.A auf flämischer Seite sowie cdH, Ecolo und die PS auf der französischsprachigen Seite schicken sich weiterhin an, sowohl in Sachen Staatsreform, also bei der Novellierung des Finanzierungsgesetzes, mit dem die Gliedstaaten im Land finanziell mehr in die Verantwortung genommen werden sollen, als auch bei weiteren Befugnisübertragungen und der Zukunft der Region Brüssel-Hauptstadt sowie bei der Spaltung des Wahlbezirks Brüssel-Halle-Vilvoorde eine Einigung herbeizuführen.
Hier scheint man es mit einer neuen Vorgehensweise zu versuchen: ein Einschränken der Themenfelder im institutionellen Bereich. Die Bereiche aber, denen man sich widmet, die sollen einer besonders tiefgehenden Reform unterzogen werden.
Es soll weiter auf der Grundlage des letzte Woche von CD&V und N-VA abgelehnten Entwurfstextes von Johan Vande Lanotte gearbeitet werden. Johan Vande Lanotte kann seinen Entwurf zusammen mit Elio Di Rupo und Bart De Wever dahingehend verändern, ergänzen oder kürzen, dass er konsensfähig wird. Haben sich Di Rupo und De Wever erst einmal geeinigt, dann ist es an ihnen, diesen Kompromiss den anderen an den Verhandlungen bislang beteiligten Parteien der beiden Sprachgruppen gegenüber zu verteidigen.
Reaktionen
Die Reaktionen auf diese neue Formel zu dritt waren heute durchweg positiv. Der Palast hat viel Fingerspitzengefühl an den Tag gelegt. Die meisten wollten, dass Vande Lanotte weitermacht, nur die N-VA nicht. Die Nationalisten wollten selbst in den Ring steigen, möglichst zusammen mit dem zweiten Wahlgewinner, also der PS.
Diese Formel zu dritt verbindet nun also beide Standpunkte. De Wever muss hinnehmen, dass Vande Lanotte bleibt. Und auch Di Rupo macht ein Zugeständnis: Er wollte bislang unter keinen Umständen von den beiden anderen frankophonen Parteien abgekoppelt werden. Wohl, um am Ende sich nicht alleine den Vorwurf gefallen lassen zu müssen, vielleicht zu große Zugeständnisse gemacht zu haben.
Die Rolle des Königs
Der Palast konnte nicht das Risiko eingehen, eine Lösung vorzuschlagen, die nicht von allen akzeptiert wird. Hier war also mehr denn je ein Zusammenspiel zwischen den Parteien und dem Palast vonnöten. Man weiß, dass es am Montag ein Gespräch zwischen Johan Vande Lanotte, Bart De Wever und Elio Di Rupo gegeben hat. Da ist wohl die Vorentscheidung gefallen.
Dennoch: wenn man sich die "Choreographie" gestern angeschaut hat, dann ist zumindest nicht auszuschließen, dass der Palast vielleicht ein wenig nachgeholfen hat. Erst war De Wever im Palast. Der musste zumindest einverstanden sein, dass Vande Lanotte bleibt. Dann war Di Rupo beim König. Der musste dem König gegenüber akzeptieren, wieder in den Ring zu steigen. Und erst, als beide dann ""Ja" gesagt hatten, kam Vande Lanotte an die Reihe, der mit diesem neuen Sachverhalt konfrontiert wurde.
Es handelt sich also um eine Inszenierung. Im Grunde ist es in erster Linie die Rolle des Königs, einen neuen Vermittler oder eine neue Formel offiziell auf die Schienen zu setzen, indem er seinen Segen erteilt. Gerade diesmal war es aber wichtig, dass jeder im Palast noch einmal klar Farbe bekennt, also deutlich sagt, dass er mit der neuen Formel hundertprozentig einverstanden ist.
Die anderen Parteien
N-VA und PS werden mit den verschiedenen Parteien ihrer Sprachgruppe eng zusammenarbeiten und die Standpunkte abstimmen. Aber: Es ist jetzt wichtig, dass endlich noch einmal die Wahlgewinner die Bühne betreten. Das gilt vor allem für die PS: seit dem 3. September, dem Tag, an dem Di Rupo als Prä-Formateur zurückgetreten ist, hat man den PS-Chef nämlich eigentlich nicht mehr gesehen.
Und die Liberalen?
Der König hat in seiner Mitteilung von gestern die Türe für die Liberalen nicht völlig zugeschlagen. Im Kommuniqué heißt es nämlich, dass, um das Land aus der innenpolitischen Krise zu führen, alle adäquat erscheinenden Gespräche geführt werden sollen, die dies möglich machen könnten. Etwaige Gespräche mit den Liberalen werden dadurch nicht ausgeschlossen. Wir wissen, dass Bart De Wever sie begrüßen würde, aber sie standen heute noch nicht auf der Tagesordnung.
Ein Zeitrahmen?
Offiziell gibt es keinen Zeitrahmen. Aber jeder weiß: Das Land braucht schnell eine Lösung, der Druck an den Finanzmärkten wird zu groß. Also sprechen wir jetzt von Tagen, vielleicht Wochen, aber nicht von Monaten. N-VA-Chef Bart De Wever hat auch schon klargemacht, es gebe zwei Möglichkeiten: Entweder geht es jetzt schnell oder wir hören auf. Er meint wohl damit die derzeitige Formel mit den sieben Parteien.
Less is more
In Flandern macht jetzt eine neue Idee die Runde: "less is more", weniger ist mehr. Im Grunde klingt das logisch. Statt jetzt in allen möglichen Politikbereichen Teilaspekte vom Föderalstaat an die Gemeinschaften und Regionen zu übertragen, würde man es so machen: Man redet über weniger Zuständigkeiten, dann aber auch richtig. Beispiel: Wenn es über die Übertragung von Befugnissen im Bereich Arbeitsmarkt geht, dann würde man nicht mehr über Teilaspekte sprechen, sondern gleich über die gesamte Materie.
Das Problem: Wenn man wirklich alles mit reinpacken will, dann wäre man schnell bei Bereichen wie dem Arbeitslosengeld oder der Krankenversicherung. Die CD&V scheint in diese Richtung gehen zu wollen. Und hier sagen die Frankophonen: Hände weg. Die Soziale Sicherheit sei unantastbar. Am deutlichsten hat das heute die CDH-Vorsitzende Jöelle Milquet schon gesagt.
Die PS will auf der Vande Lanotte-Note aufbauen, die N-VA sagt, dass es viel zu mühsam wäre, diese Note aufzudröseln. Also: Das Grundproblem bleibt bestehen. Beide Seiten vertreten weiterhin grundverschiedene Standpunkte.
Bild: belga