Engie geht in die Offensive – inhaltlich und medial. Zunächst wurde die Presse am Dienstag in einem "informellen Gespräch" über die Beschwerden des Unternehmens informiert. Am Mittwoch folgten die entsprechenden Berichte in den Medien, bevor der Chef von Electrabel – dem belgischen Zweig des französischen Mutterkonzerns – Mittwochabend in der VRT-Sendung Terzake seine Sicht der Dinge darstellte und das gleiche Donnerstagvormittag noch einmal im Radio der RTBF tat.
Worum geht es? Engie – oder Electrabel – beschwert sich über Millionen- bzw. Milliardenforderungen des belgischen Staates und droht deshalb auch, vor Gericht zu gehen.
"Mit Zuckerbrot und Peitsche"
Wenn die Beschwerden inhaltlich vielleicht gerechtfertigt sein können, so lassen doch der Zeitpunkt der Veröffentlichung und die bewusst gesuchte Medienoffensive dabei aufhorchen - und direkt an die Verhandlungen mit der Föderalregierung denken.
"Mit Zuckerbrot und Peitsche" handele Engie im Umgang mit der Regierung, kommentierte am Mittwoch dann auch die Zeitung "Le Soir". Frei nach dem Motto: Wenn die Regierung die Verlängerung der zwei Atommeiler haben möchte, ist das möglich. Aber nur, wenn die hohen Geldforderungen gegenüber Engie fallen. Sonst droht der Prozess.
Das sei ein falscher Eindruck, wehrte sich Electrabel-Chef Thierry Saegeman am Donnerstag bei der RTBF, und wich einer klaren Stellungnahme zu dem Zusammenhang zwischen angedrohter Klage und den Verhandlungen aus: "Wir blockieren nichts", sagte er. "Wenn man das denkt, ist man auf dem falschen Dampfer. Ich frage mich oft: Wer hat die meiste Macht? Derjenige, der die Gesetze schreibt, oder derjenige, der sie in Frage stellt? Wir können nur in einem Rechtsstaat funktionieren."
Fakt bleibt: Mit der Medienoffensive und den finanziellen Forderungen hat Engie - wohl eher ungewollt - auch schlafende Hunde geweckt und für überraschende Äußerungen von Mitgliedern der Regierungsparteien gesorgt.
Mit oder ohne Engie
Der Co-Vorsitzende von Groen, Jeremie Vaneeckhout, machte am Mittwochnachmittag den Anfang: "Für uns ist es ganz klar", sagte er. "Wir wollen die Verlängerung. Das soll mit Engie sein, wenn das möglich ist. Aber es wird ohne Engie sein, wenn es denn sein muss. Es sind noch andere Szenarien denkbar, um die Verlängerung zu realisieren."
Andere Szenarien? Eine Verlängerung der Atommeiler ohne Engie? Wie soll das möglich sein, fragte die VRT-Journalistin. Vaneeckhout antwortete: "Es gibt durchaus andere Möglichkeiten. Es ist aufgrund europäischer Gesetze möglich, Energie einzufordern. Die Verlängerung muss einfach kommen, um unsere Versorgungssicherheit nicht in Gefahr zu bringen. Wir erwarten das von Engie."
Und Mittwochabend sagte PS-Chef Paul Magnette fast das gleiche in der RTBF-Sendung QR: "Die Verhandlungen, die immer noch laufen und für meinen Geschmack schon viel zu lange laufen, müssen spätestens am 31. Dezember abgeschlossen sein. Ansonsten werden wir am 1. Januar Engie übernehmen. Wir werden Engie dazu zwingen, zu einem bestimmten Preis zu produzieren. Das ist absolut möglich im Interesse der Versorgungssicherheit eines Landes."
Verhärtete Fronten
Beide Male konfrontierten sowohl VRT als auch RTBF den Electrabel-Chef mit diesen Äußerungen der Politiker. Ob er verstehe, was Vaneeckhout meine, wollte man bei Terzake wissen. "Nicht wirklich. Und ganz ehrlich: Wir konzentrieren uns voll und ganz darauf, eine Lösung zu finden", antwortete Saegeman. Und bei der RTBF sagte er zur Drohung von Magnette: "Sehen Sie: Wir sind vollkommen fokussiert darauf, eine Einigung zu finden, mit der beide Seiten zufrieden sind und die im Interesse aller in Belgien ist."
Drei Tage vor Weihnachten und neun Tage vor Verhandlungsschluss haben sich die Fronten also plötzlich wieder verhärtet. Drohung steht gegen Drohung. Zumindest nach außen. Wie es hinter den Kulissen aussieht, ist weiterhin nicht bekannt.
Kay Wagner