Normalerweise sieht man Polizisten bei Demonstrationen ja eher auf der anderen Seite. Dass sie selbst marschieren, hat wirklich Seltenheitswert. Auch das unterstreicht wohl, dass für viele von ihnen das Maß wirklich voll ist. Einfach ist ihr Job natürlich nie gewesen, aber doch scheint er immer härter und gefährlicher zu werden. Der endgültige Tropfen zu viel für viele von ihnen war der Tod ihres Kollegen. Das habe sie tief getroffen, bestätigte ein Polizist gegenüber der VRT.
Es sei nicht mehr hinnehmbar, dass die Sicherheitskräfte bei ihren Einsätzen immer mehr Gewalt ausgesetzt seien, so ein Mann gegenüber der RTBF. Sie könnten ihre Arbeit nicht mehr tun, weil ein Teil der Bevölkerung sämtlichen Respekt vor den Beamten verloren habe. Ein Eindruck, den auch die Bilder und Videos von den Ausschreitungen am Sonntag in Brüssel, Antwerpen und Lüttich wieder einmal zu bestätigen scheinen. Und ein Eindruck, den viele andere der demonstrierenden Polizisten und Polizistinnen offenbar teilen.
Weder respektiere man die Beamten noch leiste man ihren Anordnungen Folge, so eine demonstrierende Frau. Der Grund: Die Menschen müssten weder Verfolgung noch Bestrafung fürchten. Man müsse ständig auf der Hut sein und über die Schulter blicken, was sich möglicherweise hinter dem eigenen Rücken tue.
Viele Beamten müssten Angst haben abends vielleicht nicht mehr heil nach Hause zu kommen, so andere Demonstranten. Und die Justiz tue viel zu wenig beziehungsweise zu oft gar nichts gegen Gewalt gegen Polizisten.
Nulltoleranz-Strategie
Hier müsse sich ganz grundlegend etwas ändern, so wenig überraschend eine der Kernforderungen der Polizei-Gewerkschaften. Nach dem Tod des Beamten in Schaerbeek hatte Justizminister Vincent Van Quickenborne gelobt, mehr Tempo zu machen, härtere Strafen bei Gewalt gegen Beamte sollen nun schneller kommen als ursprünglich geplant. Die Nulltoleranz-Strategie bei solchen Vergehen soll ausgeweitet werden – so wie es die Beamten schon lange fordern.
Am Sonntag erst hatten Innenministerin Annelies Verlinden und der Justizminister ein gemeinsam mit den Gewerkschaften verfasstes Rundschreiben an Bürgermeister und Korpschefs geschickt zum Umgang mit der Gewalt gegen Polizisten.
Aber Worte bleiben bis zum Beweis des Gegenteils eben Worte, so sinngemäß Joery Dehaes von der Christlichen Gewerkschaft: Das Rundschreiben sei ein guter Anfang, aber Papier sei geduldig. Jetzt müsse man abwarten, wie es in der Praxis umgesetzt und von den Staatsanwaltschaften effektiv angewandt werde.
Mehr Respekt von der Politik
In diesem Zusammenhang fordern die Gewerkschaften auch mehr Respekt vonseiten der Politik. Denn wie könne die Politik mehr Respekt von der Bevölkerung gegenüber der Polizei erwarten, wenn die Politik selbst so wenig Respekt zeige vor den Interessen der Beamten?, so der scharfe Vorwurf von Vincent Houssin von der freien Gewerkschaft SLFP.
Die Gewalt nicht nur gegen Polizisten, sondern gegen alle Hilfskräfte müsse angegangen werden. Die Opfer dürften außerdem nicht allein gelassen werden, so Houssin.
Ein weiteres wichtiges Anliegen sind den Polizisten aber auch ihre Karriereenden und eine bessere Bezahlung. Verhandlungen hierüber mit den Gewerkschaften hatten eigentlich bereits zu einer Einigung geführt – die dann allerdings wieder der schlechten Haushaltslage zum Opfer fiel beziehungsweise aufgeschoben wurden. Ein inakzeptabler Affront für viele Beamte.
Auch darüber haben die Arbeitnehmervertreter am Montag mit der Innenministerin, dem Justizminister und sogar Premierminister Alexander De Croo gesprochen. Allerdings ohne Erfolg, wie am Montagabend bekannt wurde. Es habe hier leider kein Entgegenkommen gegeben vonseiten der Regierung.
Das könne man nur als Enttäuschung bezeichnen, so unter anderem Joery Dehaes von der christlichen Gewerkschaft. Die Arbeitnehmervertretungen wollen sich nun beraten. Mit weiteren Aktionen in näherer Zukunft müsse gerechnet werden, hieß es weiter.
Boris Schmidt