Begriffe wie "entscheidende Woche" oder "Stunde der Wahrheit" verbieten sich ja eigentlich längst. Es dürfte wohl schon der 89. Tag sein, den man als "entscheidend" betitelt, witzelte noch am Morgen ein Politikwissenschaftler. Naja, man nenne es, wie man will, fest steht: Es ist wieder so eine Woche, wo mit Sicherheit etwas passiert.
Konkret: Vermittler Johan Vande Lanotte wird heute den sieben beteiligten Parteien (N-VA, CD&V, SP.A, Groen, PS, CDH, Ecolo) seine mit Spannung erwartete Kompromiss-Note zukommen lassen. Ein ausgewachsener Vorschlag soll es sein, also mehr als nur vage Richtungsangaben umfassen. Mit anderen Worten: Es soll ans Eingemachte gehen.
Offiziell ist nicht viel über den Inhalt bekannt, doch kann sich jeder an den fünf Fingern abzählen, dass die Vande Lanotte - Note in jedem Fall drei große Kapitel umfassen muss.
Kompetenzübertragungen, Finanzierungsgesetz, BHV
Erstens: die Übertragung weiterer Zuständigkeiten vom Föderalstaat an die Gemeinschaften und Regionen. Darüber, was die Teilstaaten künftig selbst verwalten wollten, bestand ja schon seit längerer Zeit weitgehend Konsens. Demnach würde es hier um Befugnisse gehen, die - in Zahlen ausgedrückt - in etwa 15 Milliarden Euro ausmachen. Auch eine Neuordnung der föderalen Institutionen, insbesondere des Senats, soll vorgesehen sein.
Zweites, großes Kapitel: das Finanzierungsgesetz, genauer gesagt, dessen Neufassung. Genau über diesen Punkt hat man jetzt vier Monate lang gestritten. Am 3. September hatten die sieben beteiligten Parteien zum letzten Mal zusammen an einem Tisch gesessen. Dass PS-Chef Elio Di Rupo damals von seiner Mission als so genannter "Prä-Formateur" zurückgetreten war, hatte vor allem mit dem Streit über das Finanzierungsgesetz zu tun.
Hier geht es im Wesentlichen um die Frage, wer die Steuern erhebt und eintreibt. Flandern will eine Stärkung der finanziellen Eigenverantwortung der Teilstaaten. Effizient Politik machen kann man nach flämischer Überzeugung nur, wenn man auch die Macht über die Steuerschraube hat. Im Umkehrschluss: schlechte Politik wird bestraft, einfach, weil dann weniger im Steuersäckel ist.
Johan Vande Lanottes Aufgabe war es denn auch vor allem, durchrechnen zu lassen, welches Modell eines neuen Finanzierungsgesetzes welche finanziellen Folgen hätte. Und auf dieser Grundlage hat er jetzt also ein eigenes Modell ausgearbeitet. Zumindest eine Zahl scheint sicher: 14 Milliarden Euro an Steuern sollen demnach künftig nicht mehr zentral, also durch den Föderalstaat eingetrieben werden, sondern durch die Regionen.
Die Gretchenfragen lauten weiter: "Welchen Schlüssel wendet man an?" und vor allem: "Welche Schutzklauseln werden vorgesehen, damit man der frankophonen Forderung gerecht wird, die da lautet: Niemand darf durch das neue Finanzierungsgesetz ärmer werden?".
Nicht minder heikel ist das wohl dritte, große Kapitel BHV, und damit verbunden: die Neufinanzierung der Region Brüssel Hauptstadt. Hier sind die möglichen Lösungsansätze längst bekannt - entscheidend ist nur der Mix: Beide Seiten müssen den Eindruck haben, dass sie nicht mehr heilige Kühe schlachten müssen als der jeweils andere.
Kein "entweder oder"
Ob die Vande Lanotte- Note all diese Vorgaben erfüllt, zumindest in den Augen der beteiligten Parteien, das sollten eben diese Parteien bis spätestens Mittwoch entscheiden. Im Prinzip endet damit die Mission von Johan Vande Lanotte. Denn es ist so: Entweder wird die Note vom Tisch gefegt, und dann gibt es nur eins: Neuwahlen. Oder alle Beteiligten akzeptieren den Entwurf als Gesprächsgrundlage. Und dann sollte eigentlich derjenige das Ruder übernehmen, der auch der künftige Premierminister sein will. Aussichtsreichster Kandidat ist hier immer noch PS-Chef Elio Di Rupo.
Doch verhält es sich hier wie bei der klassischen Verkehrsampel. Es gibt ja nicht nur grün und rot, sondern eben auch orange. Will heißen: die Note stellt nicht das berühmte "letzte Angebot" dar, es ist kein "entweder oder"-Vorschlag, er ist nicht verbindlich. Vielmehr hat Vande Lanotte selbst schon im Vorfeld klargemacht, dass der Entwurf verändert werden kann. Aus Sicht von Vande Lanotte ist diese Einschränkung verständlich: Wer will sich schon anmaßen, die Quadratur des Kreises hinbekommen zu haben. Nur öffnet das ja wieder die Hintertür für endlose neue Diskussionen.
Das wahrscheinlichste Szenario sieht denn auch wie folgt aus: Zwar wird niemand mit Standing Ovations auf die Note reagieren, als Gesprächsgrundlage wird sie dennoch erstmal akzeptiert. Ein erster Erfolg wäre dann schon, wenn die sieben Parteien sich endlich wieder zusammen an einen Tisch setzen. Eine Garantie für eine Einigung ist das freilich nicht. Höchstens ein Anfang.
Es ist also vielleicht nicht eine dieser berühmten "Wochen der Entscheidung". Doch, um einen weiteren dieser inflationären Begriffe doch nochmal zu bemühen: Lange wird es nicht mehr dauern, bis dann doch die Stunde der Wahrheit schlägt ...
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