Gut, Belgien ist nicht die Niederlande in puncto Zweirad-Dichte und angepasster Infrastruktur. Und das aller-Radler-freundlichste Terrain hat es auch nicht überall. Aber das tut einer wachsenden Begeisterung fürs Fahrradfahren offenbar keinen Abbruch.
Der belgische Markt entwickle sich seit einiger Zeit sehr positiv, bestätigt Filip Rylant vom Mobilitätsverband "Traxio" gegenüber der VRT. Fast 600.000 neue Fahrräder würden aktuell pro Jahr hierzulande verkauft. Und immer mehr davon sind nicht mehr die klassischen, bei denen man nur mit eigener Muskelkraft vorankommt.
Ein Großteil des Fahrradmarktes sei mittlerweile elektrifiziert, Rylant spricht von 40 Prozent. Die Wirtschaftszeitung De Tijd nennt in einem am Dienstag veröffentlichten Artikel für das vergangene Jahr sogar einen Anteil von 47 Prozent. Experten erwarten, dass dieses Jahr die 50 Prozent-Marke geknackt wird.
Der Bedarf oder doch zumindest der Wunsch nach einem E-Bike ist also definitiv vorhanden. Aber längst nicht jeder potenzielle Interessent will oder kann sich so eine doch nicht unerhebliche Investition leisten. Oder ist sich sicher, dass das Ganze auch tatsächlich etwas für einen ist. Und hier kommt der Gebrauchtfahrradmarkt ins Spiel.
Es gebe ein echtes Interesse an einigen Jahre alten elektrischen Rädern von Privat- oder auch insbesondere aus Leasing-Beständen, so Rylant. Aber nicht nur für Käufer ist eine Second-Hand-Option interessant, sondern auch für die Verkäufer. E-Bikes haben viel, viel höhere Restwerte im Vergleich zu klassischen Fahrrädern. Daher lohnt sich der Aufwand, seines zu verkaufen, für Privatbesitzer viel mehr.
Bei den gebrauchten Leasing-Rädern kommen noch andere Faktoren hinzu: Auch in Belgien sind Firmenräder seit Jahren massiv auf dem Vormarsch - nicht zuletzt durch steuerliche Vergünstigungen, um die Mobilitätswende zu fördern. Und war es anfangs nur die Wirtschaft, die ihren Angestellten diese Option angeboten hat, so springen auch immer mehr Behörden und andere Einrichtungen auf den Zug beziehungsweise das E-Bike auf.
Bislang war es dabei meist so, dass die Arbeitnehmer nach Ablauf der Leasingdauer die ehemaligen Firmenräder zu einem sehr günstigen Preis erwerben konnten. Aber wie auch schon bei Autos zuvor steigt jetzt der Restwert von E-Bikes, wie Karl Lechat bestätigt. Er ist Managing Director einer großen belgischen Fahrradhandelskette. Damit wird die Kaufoption für Arbeitnehmer teurer und somit unattraktiver. Die Folge: Die Verwalter der Leasing-Flotten sitzen mit tausenden gebrauchten Rädern da. Also haben logischerweise auch sie ein ausgeprägtes Interesse am Second-Hand-Markt.
Dieser Markt habe sicher Potenzial, glaubt Traxio-Sprecher Rylant. Eine Einschätzung, die offenbar auch diverse Akteure des Sektors teilen. Die Kette von Karl Lechat etwa hat in Waterloo extra zu diesem Zweck einen ersten Gebrauchtfahrradladen übernommen. Sollte sich das Konzept bewähren, soll es auch in anderen Regionen des Landes zum Einsatz kommen.
Und Lechat macht keinen Hehl aus den Ambitionen seiner Firma: Die nächsten Jahre werde es einen Kampf auf dem belgischen Markt darum geben, wer das neue Immoweb für gebrauchte Räder werde, wird Lechat am Dienstag in De Tijd zitiert. Er rechnet auch damit, dass ab dem kommenden Jahr sehr viele sogenannte "Corona-Räder" auf den Markt kommen werden - also Drahtesel, die zuhauf während der Gesundheitskrise angeschafft worden waren.
Wobei produktbedingt durchaus mehr Hürden vorhanden sind als bei normalen Rädern, wie Filip Rylant warnt: Für so eine Unternehmung sei ein gewisses Kapital notwendig, um erst einmal E-Bikes für den Verkauf zu beschaffen. Und es gebe das Risiko, dass sie nicht schnell verkauft werden könnten.
Die Räder müssten auch technisch wieder auf Vordermann gebracht werden, Stichwort möglicherweise defekte Batterien. Und schließlich müsse ein Händler auch noch eine Garantie von mindestens einem Jahr geben. Der logistische Aufwand für all das könne für Händler durchaus ein Hindernis darstellen.
Boris Schmidt