Was geht heutzutage eigentlich noch ohne das Internet? Die ehrliche Antwort ist wohl: Nichts mehr. Denn selbst, wenn man vielleicht auf persönlicher Ebene, also bei sich zu Hause, noch den Kampf gegen die Windmühlen der Digitalisierung führen mag, so ist doch eines klar: Alle Systeme, von denen wir im Leben abhängig sind, sind zum Funktionieren auf das Internet angewiesen beziehungsweise auf interne Informatik- und Computernetzwerke.
Genauso klar ist: Diese nicht mehr ganz so neue digitale Welt hat sich längst in ein Schlachtfeld verwandelt. Eines der jüngsten Beispiele dafür ist der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Nur wenige Stunden vor dem breitangelegten Überfall der Kreml-Truppen auf das Nachbarland ging beispielsweise völlig unerwartet ein amerikanischer Kommunikationssatellit offline, wie man am Mittwoch in der flämischen Wochenzeitschrift "Knack" lesen kann. Dadurch wurde nicht nur die Kommunikation und damit die potenzielle Koordination der Ukrainer und auch Internetzugang gestört. Nein, die Folgen dieser Attacke mutmaßlich russischer Hacker waren auch viel weiter westlich zu spüren: In Deutschland beispielsweise fielen deswegen Modems aus und die Steuerkontrolle über tausende Windkrafträder ging zeitweise verloren.
Angreifbar
Bei aller Nützlichkeit des Internets, es mache die Gesellschaft auch verwundbar, unterstrich Verteidigungsministerin Ludivine Dedonder in der RTBF. Nicht nur wegen möglicher Cyberattacken, sondern auch wegen staatlich gelenkter Desinformationskampagnen und Cyber-Bedrohungen. Dieser Realität werde man sich mehr und mehr bewusst.
Um die Cyber-Bedrohung mal in Zahlen zu fassen: Das Zentrum für Cybersicherheit Belgien hat allein im letzten Jahr viereinhalb Millionen E-Mails mit verdächtigen Links oder potenzieller Schadsoftware zugeschickt bekommen. Wir alle sind potenzielle Opfer von Cyber-Angriffen, so die Verteidigungsministerin. Wir alle, von Privathaushalten und Firmen über etwa Krankenhäuser, Verwaltungen und kritischer Infrastruktur jedweder Art bis hoch zu ganzen Ministerien, inklusive dem Verteidigungsministerium selbst.
Erst im August hat die föderale Staatsanwaltschaft eine Untersuchung eines möglichen Angriffs auf die Server der Kanzlei des Premierministers eingeleitet. Server, die unter anderem auch von der Polizei genutzt werden.
Die Antwort Belgiens auf diese Bedrohung soll die neue Teilstreitkraft "Cyber" bilden. Das Cyber-Kommando, das am Mittwoch eingeweiht und vorgestellt wird, soll der Grundstein dafür sein, der Generalsstab für die neue Komponente, die nach und nach um das Kommando herum entstehen soll. Bis 2024, also dem Ende der aktuellen Legislatur, soll das Kommando einsatzbereit sein.
Präventive, aber auch offensive Aufgaben
Man könne nicht unterscheiden zwischen einem militärischen und einem zivilen Cyberspace, so Dedonder. Es sei ein einziger, gemeinsamer Cyberspace. Deswegen wolle Belgien auch eine duale Cyber-Komponente für seine Streitkräfte: Für den Schutz nicht nur der militärischen Netze und Waffensysteme, sondern auch der kritischen, lebenswichtigen nicht-militärischen Netze.
Die Cyber-Komponente wird aber durchaus weitergehende Aufgaben haben: Zum Beispiel Systeme infiltrieren zur Beschaffung von Informationen, fremdes Eindringen in die eigenen Systeme verhindern und – falls notwendig – gegen Angreifer im In- und Ausland zurückschlagen. Das Aufgabenspektrum ist also nicht nur als defensiv-präventiv zu bezeichnen, sondern durchaus auch als offensiv.
Um diese Missionen stemmen zu können, wird das Verteidigungsministerium nicht nur technologisch und materiell für über 400 Millionen Euro aufrüsten, sondern natürlich auch personell. Es würden sowohl Militärs als auch Zivilisten rekrutiert, so die Verteidigungsministerin, unter anderem als Analysten, Infiltratoren zur Informationsbeschaffung und vielem mehr. Dafür kämen nicht nur Menschen mit bestimmten Bildungsabschlüssen infrage, sondern auch etwa Personen, die eine Leidenschaft für Informatik hätten und die dann vom Verteidigungsministerium weiter ausgebildet würden.
Die neue Teilstreitkraft wird übrigens dem SGRS-ADIV untergeordnet, dem militärischen Nachrichtendienst. Was auch Sinn macht, denn die bisherigen belgischen Cyber-Kapazitäten waren beim Nachrichtendienst angesiedelt. Kontrolliert werden wird die neue Komponente durch das sogenannte Komitee R, dem ständigen Kontrollausschuss für die Geheimdienste und durch den Ausschuss für die Landesverteidigung.
Boris Schmidt