Seinen Höchstpreis hatte Erdgas in Europa bislang gegen Ende August. Satte 345 Euro pro Megawattstunde kostete es da an der tonangebenden Gasbörse in Amsterdam. Da sind die 144 Euro, die Erdgas zeitweise am Montagmorgen kostete, doch schon wieder eine ganz andere Hausnummer. Natürlich darf man nie vergessen, dass es im letzten Jahr eben nur 40 Euro pro Megawattstunde waren.
Aber bevor sich jetzt irgendjemand zu früh freut: Nein, die Energielieferanten werden deshalb nicht kurzfristig ihre enorm gestiegenen Abschlagszahlungen anpassen. Das hat einen ganz einfachen Grund, den auch Stéphane Bocqué, der Pressesprecher des Branchenverbandes Febeg, in der RTBF anführte.
Niemand habe eine Kristallkugel, die vorhersagen könne, wie die Preise in einem, zwei oder drei Monaten aussehen könnten. Sie seien noch immer strukturell sehr hoch und zudem noch höchst volatil und unvorhersehbar – deswegen müsse man die Entwicklungen auch sehr nuanciert betrachten, sagte Bocqué.
Die Gaskurse könnten jeden Tag sehr stark steigen oder fallen. Das sei abhängig von verschiedenen Ereignissen, es gebe enorm viele Parameter, die das beeinflussen könnten. Die wichtigsten Parameter seien natürlich Angebot und Nachfrage. Aber man dürfe nicht vergessen, dass Russland einen Wirtschaftskrieg gegen Europa führe mit dem Gaspreis als Waffe.
Deswegen sei russisches Gas ja auch hauptsächlich durch Flüssiggas ersetzt worden. Dass Belgien über ein entsprechendes Terminal in Zeebrugge verfüge, sei ein Vorteil, ebenso, dass Belgien schon vor dem Krieg nur wenig russisches Gas verbraucht habe.
Der Febeg-Sprecher sieht verschiedene Gründe für das Sinken des Gaspreises: Zum einen habe es Europa trotz russischer Störversuche geschafft, seine Gasspeicher zu füllen – sogar schneller als gedacht. Das habe den Preisdruck reduziert. Dann gebe es ein immer stärkeres Signal von der Europäischen Union, dass man nicht länger gewillt sei, egal welchen Preis zu zahlen, und auch gemeinsam dagegen vorgehen wolle. Auch wenn das noch nicht in tatsächliche technische Maßnahmen umgesetzt sei, so sei das doch eine starke Botschaft an die Märkte.
Und dann dürfe man auch nie den klimatischen Faktor vergessen, die Witterung. Denn wie der Winter werde, das spiele natürlich eine sehr große Rolle für den Gaspreis. Im Moment erlebe Belgien einen milden Herbstbeginn, das Wochenende über sei das Wetter auch gut gewesen. Dadurch sei beispielsweise weniger Gas verbraucht worden, um Elektrizität zu produzieren. Es habe auch mehr erneuerbare Energie zu Verfügung gestanden, ganz sicher aus Sonnenkraft, vielleicht auch aus Windkraft. Weniger Gasverbrauch gleich weniger Nachfrage gleich tieferer Gaspreis.
Was aber auf gar keinen Fall unterschätzt werden dürfe, das sei das Verhalten der Verbraucher selbst. Das könne nämlich nicht nur eine Rolle spielen, sondern werde absolut ausschlaggebend sein für den kommenden Winter. Das Verhalten aller Sektoren, aber eben auch insbesondere von Privatkunden, werde bestimmen, wieviel Energie eingespart werden könne. Und auch, ob und zu welchem Anteil Energie verstärkt zu Uhrzeiten verbraucht werden könne, zu denen mehr erneuerbare Energie zur Verfügung stehe. Die Industrie, die Behörden, schlicht alle müssten natürlich dabei gewissenhaft und solidarisch mitmachen.
Für den Bürger mache sich ein sparsameres Verhalten ohnehin direkt auf der Rechnung bemerkbar, denn am günstigsten seien Kilowattstunden, die gar nicht erst verbraucht würden. Aber es sei auch aus zwei weiteren Gründen wichtig: Zum einen könne eine geringere Nachfrage langfristig den Gaspreis strukturell sinken lassen.
Zum anderen sei es auch sehr wichtig, dass am Ende des Winters noch so viel Gas wie möglich in den europäischen Speichern bleibe. Denn dann könne man aus einer besseren Ausgangslage in den nächsten Winter starten, mit einem Bonus sozusagen, wie ein Eichhörnchen, das schon Vorräte angelegt habe.
Boris Schmidt