Seit einigen Jahren gibt es an der Universität von Gent eine bestimmte Tradition: Der Politologie-Professor Carl Devos lässt zu Beginn des neuen Akademischen Jahres seine erste Vorlesung von einem Ehrengast gestalten. Oft sind das Spitzenpolitiker aus der Brüsseler Rue de la Loi. Und diesmal war es eben kein Geringerer als Premierminister Alexander De Croo, der sich im großen Hörsaal den Studierenden präsentierte. Dabei schnitt der föderale Regierungschef auch Themen an, die gerade im Moment an seiner eigentlichen Wirkungsstätte doch für beträchtlichen Diskussionsstoff sorgen.
Kritik der Arbeitgeber an Lohn-Index-Bindung
Danny Van Assche, der Vorsitzende des einflussreichen flämischen Selbständigenverbandes Unizo, zog am Dienstagmorgen in der VRT wegen der rasant steigenden Gehälter einmal mehr die Alarmglocke. Das ist ja eine Folge der Lohn-Index-Bindung: Belgien gehört zu den wenigen Ländern, in denen die Bezüge automatisch der Preisentwicklung angepasst werden. Bei einer galoppierenden Inflation, wie wir sie jetzt erleben, jagt aber eine Indexanpassung die nächste. Und das führe dazu, dass die Lohnkosten der Betriebe regelrecht explodieren, beklagte Van Assche.
"Nehmen wir ein Beispiel", sagte der Unizo-Vorsitzende: "Ein Betrieb beschäftigt zehn Mitarbeiter. Nun, wenn die Gehälter weiter so steigen wie im Moment, dann sind die Lohnkosten bald so hoch, als hätte die Firma elf Mitarbeiter, in zwei Jahren sogar zwölf. Nun, das geht so nicht". Und das könne dazu führen, dass am Ende nur noch acht oder neun Personalmitglieder übrigbleiben, um die Lohnkosten wieder ins Lot zu kriegen.
Van Assche ist mit seiner Meinung nicht allein. Der Unternehmerverband FEB bläst seit Wochen in dasselbe Horn: Die rasant steigenden Lohnkosten drohten den Unternehmen den Hals zuzuschnüren, beklagte noch am Dienstag der FEB-Geschäftsführer Pieter Timmermans in der Zeitung De Standaard. Wenn das so weiter gehe, dann sei ein Indexsprung unvermeidlich.
Konkret hieße das also, dass die Anpassung der Löhne - mindestens - einmal ausgesetzt würde. Das allerdings kann die Arbeitgeberseite nicht einseitig beschließen. Von der Föderalregierung ist da aber - Stand heute - auch keine Hilfestellung zu erwarten. Allen voran die Sozialisten sind strikt gegen einen Indexsprung.
De Croo: "Guter Mechanismus"
Vor dem jungen Publikum in Gent brach nun aber auch Premierminister Alexander De Croo eine Lanze für das System. "Die Lohn-Index-Bindung ist ein guter Mechanismus", sagte De Croo. "Und, wer hätte das gedacht, dass die meisten Parteien sich in diesem Punkt inzwischen einig sind." Selbst seine Partei, die Open VLD, "was - zugeben - nicht immer so war". Klar gebe es Kritik, aber in Krisenzeiten sind wir doch eigentlich alle froh, dass wir den Index haben, so der Premier.
Zwar spricht sich De Croo hier nicht klar gegen einen Indexsprung aus. Nach einer solchen Lobeshymne auf das System als solches wäre es aber wohl schwierig, morgen für eine einmalige Aussetzung einzutreten. Dennoch: Der Index löst nicht alle Probleme.
Übergewinnsteuer soll noch in diesem Jahr kommen
"Wie sollen wir unsere Rechnungen noch bezahlen?" Diese Frage wurde im Hörsaal häufiger aufgeworfen. Auch da gab es überraschend klare Worte von Alexander De Croo: "Klar wird eine Übergewinnsteuer kommen! Und das vor Ende des Jahres", sagte der Premier. "Und was wird mit dem Geld passieren? Nun, das wird an die Verbraucher zurückfließen. Denn wir alle sind es, die in zu viel bezahlt haben."
Energieministerin Tinne Van der Straeten hatte ja schon einen entsprechenden Vorschlag hinterlegt. Die Regierung hat aber noch nicht ihren Segen gegeben. "In der Tat: Über den Entwurf der grünen Kollegin wird noch diskutiert", sagte De Croo. "Aber wissen Sie: In einer Demokratie ist das das Normalste der Welt".
Und dann ließ sich der Premier zu einer fast staatsphilosophischen Überlegung hinreißen: Bei aller berechtigten Kritik an der Politik dürfe man nicht das Kind mit dem Badewasser ausschütten. "Demokratie, das ist organisierte Meinungsverschiedenheit", sagt De Croo, der offensichtlich nicht vergessen hat, dass er vor angehenden Politologen steht. "Und man sollte bitte damit aufhören, jeden Streit gleich zum Ende der Demokratie hochzujazzen. Denn natürlich gehen die Meinungen oft auseinander, und das wird auch immer so sein. An dem Tag, an dem es nur noch eine Meinung gibt, nun, dann haben wir ein Problem."
Roger Pint
Wenn die Lohn-Index-Bindung schon nicht infrage gestellt werden soll, dann zumindest deren Linearität, die die Schere zwischen Gering- und Vielverdienern bei jeder Inexierung nur noch weiter auseinander reißt.
Diese lineare Indexierung ist unsozial und gehört, seit... Jahrzehnten abgeschafft und angepasst.
Wenn Minister der DG auf 8% ihres Gehaltes verzichten (was 4 Indexsprüngen entspricht) vergessen sie zu erwähnen, dass Ihnen diese Indexierung zu einer vielfachen Gehaltserhöhung gegenüber einem Geringverdiener "verholfen" hat.
Warum dies niemand ernsthaft infrage stellt ist imho unbegreiflich.