Die Gewerkschaften sind davon überzeugt, dass die schon beschlossenen Entlastungspakete nicht ausreichen. Das letzte Hilfspaket, das Premierminister Alexander De Croo am vergangenen Freitag vorgestellt hat, sieht vor, dass jeder "Durchschnittshaushalt" eine Unterstützung von rund 400 Euro bekommt - um die hohen Energiepreise ein wenig abzufedern. "Schön und gut", sagen die Gewerkschaften. Aber das sei doch nicht viel mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Manche Leute haben monatliche Vorauszahlungen in Höhe von bis zu 1.000 Euro, manchmal sogar noch mehr.
Es gibt den Sozialtarif - rund eine Million Haushalte kommen so in den Genuss verbilligter Energiepreise. Nur ist das sehr tragisch für die Menschen, die nur ein bisschen zu viel verdienen, um für diesen Sozialtarif infrage zu kommen. Denn, so sagte der CSC-Vorsitzende Marc Leemans, der Unterschied zwischen dem Sozialtarif und dem Marktpreis beläuft sich auf stolze 5.000 Euro pro Jahr. Die Hilfe in Höhe von 400 Euro, das sei also gerade mal ein Zwölftel. Deswegen eben die Forderung, dass der Sozialtarif auf die sogenannte untere Mittelschicht ausgeweitet werden soll, sagt Marc Leemans.
Finanzieren wollen die Gewerkschaften das unter anderem mit dem Erlös aus einer Übergewinnsteuer. Das war denn auch die zweite große Forderung auf dem Aktionstag am Mittwoch. Die Gewerkschaften fassen das unter dem Schlagwort "Steuergerechtigkeit" zusammen. Die Übergewinne der Energiekonzerne müssten abgeschöpft werden, sagte Miranda Ulens von der sozialistischen FGTB.
Eine Übergewinnsteuer würde das nötige Geld in die Staatskasse spülen, damit man den Bürgern helfen könne. Das zweite große Thema ist ein Gaspreisdeckel. Es gibt die EU-Ebene. "Aber die Niederlande haben gestern einen Gaspreisdeckel eingeführt, warum geht das nicht auch in Belgien?", fragt sich die FGTB-Gewerkschafterin.
Kritik an Arbeitgebern
Die Gewerkschaften haben nicht nur Kritik an den Regierungen des Landes geübt, sondern auch an den Arbeitgebern. Der Protestzug ist bis zum Hauptsitz des Arbeitgeberverbandes FEB gezogen. Erstmal sind die Gewerkschaften sauer, weil die Arbeitgeber bei jeder Gelegenheit die Lohn-Index-Bindung - dass die Gehälter automatisch den höheren Preisen angepasst werden - in Frage stellten.
Für den zweiten Kritikpunkt muss man ein bisschen ausholen: Die Gewerkschaften beklagen, dass sie eigentlich gar keine Tarifverträge mehr aushandeln können. Denn es ist so, dass ein Gesetz die sogenannte Lohnnorm festlegt. Die wird berechnet auf der Grundlage der Lohnsteigerungen in den wichtigsten Nachbarländern. Man will so vermeiden, dass die Gehälter in Belgien schneller steigen als in den Nachbarländern. In der Praxis führt das dazu, dass per Gesetz quasi eine Obergrenze festgelegt wird.
Deswegen können die Gewerkschaften nicht die Lohnerhöhungen aushandeln, die sie sich vielleicht wünschen würden. Genau das kritisierte denn auch FGTB-Chef Thierry Bodson. Die Arbeitgeber sollten hier doch endlich mal einlenken, sagt Thierry Bodson. Die Gehälter seien de facto schon seit Jahren eingefroren - auf Dauer gehe das nicht so weiter. Fairerweise muss man sagen, dass die Gewerkschaften hier oft unterschlagen, dass es ja eben auch noch den Index gibt.
Dieser Konflikt ist jedenfalls schon älter und man muss wissen: Ursprünglich war der Protesttag von Mittwoch angesetzt worden, um vor allem gegen dieses Gesetz zu protestieren. Später sind erst die hohen Energiekosten hinzugekommen.
Nicht die letzte Protestaktion
Das wird in jedem Fall auch nicht die letzte Protestaktion der Gewerkschaften sein. Man spricht schon vor einem bevorstehenden "heißen Herbst". Im Raum steht sogar ein Generalstreik, der am 9. November stattfinden könnte. Die FGTB hat sich jedenfalls am Mittwoch nochmal klar dazu bekannt.
Die christliche und die liberale Gewerkschaft sehen das vielleicht etwas nuancierter. Da will man wahrscheinlich erst einmal abwarten, was da noch kommt. Die EU-Kommission hat eine Übergewinnsteuer in den Raum gestellt und vielleicht sogar einen Gaspreisdeckel. Die Föderalregierung hat schon gesagt, dass man erst noch auf die EU-Beschlüsse warten will, um zu sehen, ob sich da nicht noch neue Spielräume öffnen.
Jeder weiß auch, dass das jetzt schnell gehen muss. Es wird wohl von der Entwicklung der nächsten Tage und Wochen abhängen, wie "heiß" der Herbst am Ende wirklich wird.
Roger Pint