Endlich frei, könnte sich Michelle Martin jetzt sagen. "Endlich wieder machen können, was ich will." Doch ganz so einfach wird es für die mittlerweile 62-jährige Frau nicht werden.
Schon für normale Straftäter sei die Wiedereingliederung in die Gesellschaft nach einer verbüßten Haft nicht leicht, sagt Marc Nève. Er ist Vorsitzender des sogenannten Zentralen Aufsichtsrats für Strafvollzug (CCSP), der sich um die Rechte von Häftlingen während und nach ihrer Haft kümmert. "Für Michelle Martin wird das besonders schwer werden vor dem Hintergrund, dass alles um sie herum enorm mediatisiert ist. Das ist ein ganz außergewöhnlicher Fall."
Das ganz Außergewöhnliche an Michelle Martin ist, dass sie Teil des Traumas ist, das die belgische Gesellschaft seit der Affäre Dutroux bis heute verfolgt. Martin als damalige Lebensgefährtin und spätere Ehefrau von Dutroux hatte ihm maßgeblich bei seinen Verbrechen Mitte der 1990er Jahre geholfen. Mehrere minderjährige Mädchen hatte Dutroux entführt, bei sich zu Hause eingesperrt, gequält, pornographische Aufnahmen von ihnen gemacht. Vier Mädchen starben dabei. Martin wird für den Hungertod von zwei dieser Mädchen verantwortlich gemacht.
Erneute Proteste zu erwarten
Dass Michelle Martin schon 2012 wieder unter Auflagen aus dem Gefängnis entlassen wurde, hatte damals zu Protesten geführt. Auch jetzt wird es für viele, allen voran den Angehörigen der Opfer, schwierig sein zu sehen, dass Michelle Martin wieder auf komplett freiem Fuß leben darf.
Für Anwältin Benjamine Bovy hat Martin allerdings das Recht dazu. Bovy ist Anwältin eines weiteren Dutroux-Komplizen, Michel Lelièvre, der 2019 aus dem Gefängnis entlassen wurde. Bovy sagt zu Martin "Sie ist eine Bürgerin, wir leben in einem Rechtsstaat, sie hat ihre Strafe abgesessen. Sie hat die rechtlichen Regeln respektiert, die ein Parlament verabschiedet hat. Sie wird also eine komplett freie Bürgerin sein." Aber auch Bovy geht davon aus, dass es sehr schwer werden wird für Martin, in ihrer neuen Freiheit ein normales Leben führen zu können. "Wird das einfach für sie sein?", fragte Bovy sich selbst am Mittwochvormittag im Radio der RTBF und gab sich auch selbst die Antwort "Ich glaube, dass es sehr kompliziert für sie werden wird. Denn ein großer Teil der Gesellschaft erinnert sich noch sehr gut an die Dinge, die damals passiert sind."
So ergehe es auch ihrem Mandanten, Michel Lelièvre. "Ja, es bleibt kompliziert für ihn. Er trägt halt den Namen, den er hat. Der mit den Taten verbunden bleibt, die er damals getan hat. Das ist extrem schwierig für ihn. Aber er findet immer besser seinen Platz in der Gesellschaft."
Abschluss in Jura
Ganz aussichtslos scheint die Wiedereingliederung also nicht zu sein - auch für Martin. Wobei Marc Nève die Erwartungen herunterschraubt. "Die große Herausforderung bei der Wiedereingliederung ist es, wieder eine Arbeit zu finden. Diese Etappe hat Martin bislang leider noch nicht gemeistert." Tatsächlich hat Martin die vergangenen Jahre dazu genutzt, zu studieren - einen Abschluss in Jura soll sie haben - und zu versuchen, wieder Arbeit zu finden. Aber ohne Erfolg, wie Suzanne Moreau berichtet. Die ehemalige Richterin hat sich um Martin in den vergangenen Jahren gekümmert und ihr geholfen, wieder einen Platz in der Gesellschaft zu finden. "Sie hatte die Kompetenzen, die Möglichkeiten, die Diplome: Sie hatte alle Voraussetzungen, um sich wieder einzugliedern, eine Arbeit aufzunehmen. Trotzdem ist das nicht möglich. Denn sie hat sich vor einer Mauer wiedergefunden, einer Mauer der Feindseligkeit, der Rache, der Ressentiments."
Über das Ende der Auflagen für Michelle Martin sind die Angehörigen der Dutroux-Opfer von der Justiz informiert worden. Das schrieb Paul Marchal am Dienstagabend auf seiner Facebook-Seite. "Es ist schon bitter, diese Nachricht von der Justiz genau am 23. August zu erhalten. An einem 23. August ist uns auch unsere Tochter entrissen worden", schreibt Marchal in seinem Facebook-Eintrag. Paul Marchal ist der Vater von An Marchal, eins der Mädchen, die im August 1995 von Marc Dutroux entführt und gut ein Jahr später tot in einem Keller gefunden worden waren.
Marc Dutroux kommt voraussichtlich nie mehr auf freien Fuß.
belga/vrt/jp/kw
Sorry, aber mein Mitleid mit Mme Martin hält sich in Grenzen.
Ja, das tut mir aber wirklich so leid, dass dieses Weib bei niemanden eine Anstellung bekommt. Schließlich hat sie ja studiert, und dann auch noch Jura?! Grenzt ja schon an Zynismus! Die Mädchen, die diese Frau hat verhungern lassen, hätten heute auch in irgendeinem Fach promoviert. Die hatten keine Chance weiterzuleben! Diese Frau wird ewig schuldig sein, ob sie ihre Strafe abgesessen hat oder nicht!!!