Nein, als "ideal" kann man die aktuelle Lage sicher nicht bezeichnen für Geschäfte. Schon gar nicht für Geschäfte, die nicht lebensnotwendige Dinge verkaufen. Die Preise für fast alles sind regelrecht explodiert, die Inflation bewegt sich weiter auf Rekordniveau und wirkliche Antworten auf die mehr als verständlichen Sorgen der Menschen um ihre Kaufkraft gibt es auch nicht wirklich. Die Hauptursachen dafür sind zu Genüge bekannt, die Folgen für fast jeden täglich und am eigenen Leib spürbar.
Dennoch hat auch dieses Jahr wieder vor einem knappen Monat der belgische Sommerschlussverkauf begonnen – unter eben alles andere als den besten Vorzeichen. Denn die große Sorge war, dass die Menschen wo immer möglich sparen würden. Andererseits hofften viele Händler, dass gerade der Wunsch zu sparen, Käufer zu ihren Abverkaufsangeboten locken würde.
Bester Schlussverkauf seit 2019
Dieses Kalkül sei aufgegangen, bestätigte Christophe Wambersie am Freitagmorgen gegenüber der RTBF. Er ist Generalsekretär der neutralen Selbstständigengewerkschaft SNI. Aus einer Umfrage unter Händlern und Vereinigungen gehe hervor, dass die Zahlen so gut wie 2021 seien beziehungsweise sogar etwas besser. Der Schlussverkauf sei relativ gut gelaufen, was eine positive Nachricht sei.
Das sehen auch andere Verbände so: Die Mittelstandsvereinigung UCM zeigt sich ebenfalls zufrieden und spricht in einem Kommuniqué vom besten Schlussverkauf seit dem Vor-Corona-Jahr 2019. Die Lager mit Sommersaisonware seien fast vollständig geleert, so etwas habe es seit der Pandemie nicht mehr gegeben. Allerdings müsse man dabei berücksichtigen, dass die Händler aufgrund der Lage auch weniger als früher eingekauft hätten. Im Vergleich zum letzten Jahr seien die Verkäufe während des jetzigen Schlussverkaufs um 30 Prozent gestiegen, das sei wirklich dringend benötigter Sauerstoff für den angeschlagenen Sektor, so die UCM.
30 Prozent der befragten SNI-Mitglieder hätten Verkaufszahlen wie vor Corona erreicht, unterstrich auch Christophe Wambersie. Sehr ähnliches hört man auch vom Branchenverband "Mode Unie" und der flämischen Unternehmervereinigung Unizo: Selbstständige Modegeschäfte hätten diesen Sommer kaum ein Prozent weniger verkauft als im Schlussverkauf 2019.
Der Sommerschlussverkauf habe also seine wichtigste Rolle erfüllen können, freute sich der SNI-Generalsekretär: Zum einen sei Platz gemacht worden für neue Ware, aber, viel wichtiger, habe der Schlussverkauf dabei geholfen, die finanziellen Mittel aufzubringen, um die nächsten Kollektionen einkaufen zu können.
Kaufkraft der Kunden weiter unter Druck
Der Schlussverkauf sei und bleibe essenziell für den Handel. Schließlich mache er ja 30 bis 35 Prozent seiner Umsätze in dieser Zeit. Genau deswegen müssten Schlussverkäufe in ihrer jetzigen Form beibehalten werden. Das sei auch kulturell wichtig, so Wambersie, denn die Kunden erwarteten auch weiterhin Perioden mit starken und transparenten Preisnachlässen.
Aber bei aller Freude über den gelungenen SSV warnen die Verbände auch vor übertriebenem Enthusiasmus: Nichts deute darauf hin, dass sich die Inflation verlangsamen werde, betonen sowohl UCM als auch SNI. Die Kaufkraft der Kunden werde also weiter stark unter Druck bleiben.
Die Befürchtung sei, dass man das während der "normalen" Verkaufsperioden zu spüren bekommen werde, so der SNI-Generalsekretär. Es könne durchaus sein, dass die Menschen dann ihr Geld eher beisammenhalten wollten und sich quasi von Schlussverkauf zu Schlussverkauf hangeln könnten, um möglichst wenig ausgeben zu müssen.
Diese Sorge teilt auch etwa "Mode Unie": Die steigenden Energiepreise und der fortdauernde Krieg verunsicherten viele Menschen. Die Händler gingen davon aus, das ab dem Herbst zu spüren zu bekommen.
Boris Schmidt