Die Preise für Häuser und Wohnungen in Belgien sind über die vergangenen Jahrzehnte fast kontinuierlich gestiegen. "Fast" heißt: Nur in der ersten Hälfte der 1980er-Jahre und während der großen Finanzkrise 2008/2009 sind die Durchschnittspreise gesunken. Und selbst da nur in begrenztem Maß und keinesfalls so stark, dass das den vorhergehenden Anstieg neutralisiert hätte, vom darauf folgenden kräftigen Wiederanziehen der Preise ganz zu schweigen.
Diese Entwicklung ist in allen Regionen des Landes und für alle Arten von Wohneigentum zu beobachten gewesen, hält die Nationalbank fest. Und der Anstieg der Immobilienpreise hat sich jüngst wieder beschleunigt, trotz Covid-Krise und schwächelnder Konjunktur - und zwar im gesamten Euro-Raum.
Diese Entwicklungen befeuern schon länger die Debatte über die Frage, die auch die Nationalbank schon in der Überschrift ihrer Mittwoch veröffentlichten Analyse stellt: Kann man sich in Belgien noch Wohneigentum leisten?
Um diese Frage zu beantworten, konzentriert sich die Nationalbank vor allem auf drei Faktoren: erstens natürlich die Immobilienpreise selbst. Dann zweitens, auch logisch: die Entwicklung der Einkommen, mit denen diese Preise ja bezahlt werden sollen. Eine sehr wichtige, um nicht zu sagen entscheidende Rolle spielt dann aber auch noch der Hypothekenmarkt - denn eine Mehrheit potenzieller Immobilienkäufer muss für die Finanzierung ihres Vorhabens im Normalfall ja einen Kredit aufnehmen.
Betrachtet man das Gesamtvolumen an aufgenommenen Krediten für den Kauf einer Wohnung beziehungsweise eines Hauses, so stellt man fest, dass es stetig zugenommen hat, insbesondere ab 2015. Abgenommen, wenn auch nur leicht, hat dabei der Anteil von Kreditnehmern unter 35 Jahren. Von 2006 bis 2021 ist hier ein Rückgang von 41 Prozent auf 35 Prozent festzustellen. Gleichzeitig hat der Anteil der 35- bis 54-jährigen Kreditnehmer in einem ähnlichen Umfang zugenommen.
Was hingegen merklich abgenommen hat, das ist das Verhältnis zwischen gewährter beziehungsweise geschuldeter Kreditsumme und dem Marktwert der Immobilie, die damit erworben wird. Das sei auch eine Folge davon, dass die Nationalbank selbst die Banken in den vergangenen Jahren zu schärferen Regeln bei der Vergabe von Wohnkrediten verpflichtet habe, sagte Peter Vanden Houte, Chefökonom von ING Belgien, in der VRT. Von Darlehensnehmern würden also höhere Sicherheiten gefordert.
Die Nationalbank befürchte, dass die Preise für Immobilien in Belgien bereits teilweise zu hoch geworden seien, so Vanden Houte. Sie sehe ein potenzielles Risiko, dass die Immobilien, die ja als Sicherheit für den Kredit dienten, in Zukunft an Wert verlieren könnten.
Um das Risiko für den Finanzsektor zu verkleinern, verlange man also mittlerweile, dass Käufer mehr Eigenkapital auf den Tisch legten. Das bedeute gerade für junge Käufer angesichts der stark gestiegenen Preise, dass sie tiefer in die Tasche greifen müssten, um an einen Bankkredit zu kommen. Oder es zwinge sie dazu, auf Kredite mit höheren Rückzahlungskosten auszuweichen beziehungsweise auf günstigere, weil entweder qualitativ oder geographisch unattraktivere Immobilien.
Oder gleich ganz auf den Kauf zu verzichten und weiter zur Miete zu wohnen. Das gelte auch für Haushalte mit nur einem oder mit unterdurchschnittlichem Einkommen oder nur geringen Ersparnissen.
Generell gelte: Je schlechter die finanzielle Lage der Käufer, desto größer der Anteil, den sie für die Rückzahlung ihres Kredits aufwenden müssten. Das sei insbesondere in bestimmten städtischen Ballungsgebieten so: In Brüssel, Gent, Löwen oder Brügge etwa könnten ohne Eigenkapital schnell 40 bis sogar über 50 Prozent des monatlichen Einkommens für die Bedienung der Raten des Kredits für den Kauf einer durchschnittlichen Immobilie draufgehen, so die Nationalbank.
Die Folge: Wohneigentum bei Menschen mit niedrigeren Einkommen habe in den vergangenen Jahren stark abgenommen. Für die einkommensschwächsten Haushalte nennt die Nationalbank einen Rückgang um satte 20 Prozent, von 2003 noch 57 Prozent auf nur noch 37 Prozent im Jahr 2021.
Gleichzeitig vergrößere sich auch die soziale Ungleichheit, da im gleichen Zeitraum das Wohneigentum finanziell besser gestellter Haushalte zugenommen habe, so das Fazit der Nationalbank. Eine Wohlstandsumverteilung, die noch dadurch weiter verschärft werde, dass der Wert von Immobilien viel stärker steige als der von finanziellen Vermögenswerten.
Boris Schmidt