Die Kammer am vergangenen Mittwochabend: Die Abgeordneten müssen über den umstrittenen Deal mit dem Iran abstimmen. 79 Stimmen dafür, 41 dagegen, elf Enthaltungen. Der Gesetzesvorschlag ist angenommen.
Das gefällt aber nicht jedem. "Moralische Schande", wettert die empörte Opposition. Kammerpräsidentin Éliane Tillieux muss die Opposition zur Ordnung rufen. "Respektieren Sie bitte die Meinung der anderen! So gehört sich das in einer demokratischen Institution."
Umstrittener Deal
Umstritten war der Deal von Anfang an. Belgien will sich ja die Möglichkeit geben, Gefangene insbesondere mit dem Iran auszutauschen. Man täte das wohl nicht, wenn es dafür nicht einen ganz konkreten Anlass gäbe. Vor einigen Wochen erst wurde bekannt, dass ein belgischer Entwicklungshelfer seit einigen Monaten in einem iranischen Gefängnis sitzt. Olivier Vandecasteele aus Tournai wurde am 24. Februar dieses Jahres kurz nach seiner Ankunft in Teheran festgenommen. Ihm wird unter anderem Spionage zur Last gelegt. Ein, man könnte sagen, "klassischer Vorwurf" im Iran, um Menschen willkürlich wegzusperren. Das gleiche war dem iranisch-schwedischen Hochschuldozenten Ahmadreza Djalali 2016 auch schon passiert. Vor seiner Festnahme arbeitete er an der Freien Universität Brüssel, was sein Schicksal auch in Belgien zum Thema machte.
In erster Linie geht es der Regierung aber wohl um Olivier Vandecasteele. "Es ist unsere moralische Pflicht, um Landsleute, die im Ausland als Geiseln festgehalten werden, zu befreien", hatte Justizminister Vincent Van Quickenborne noch vor einigen Tagen erklärt.
Das würde die Opposition vielleicht sogar noch unterschreiben. Die Frage ist nur, wie man das machen will. Belgien will die Möglichkeit eines solchen Häftlingsaustausches hochoffiziell in ein Gesetz schreiben. Das ist absolut beispiellos, kritisierte Georges Dallemagne von "Les engagés". Das gibt es nirgendwo in Europa. Insgesamt befürchtet die Opposition, dass Belgien auf diese Weise zu Entführungen von Landsleuten fast schon "einlädt", die dann als Tauschpfand dienen sollen.
Besonders problematisch wird es dann aber noch, wenn man weiß, wen Belgien gegen Olivier Vandecasteele auszutauschen gedenkt. Es handelt sich offenbar um Assadollah Assadi, einen iranischen Diplomaten, der im vergangenen Jahr von einem Antwerpener Gericht wegen terroristischer Umtriebe zu 20 Jahren Haft verurteilt worden war. Er wurde für schuldig befunden, zusammen mit anderen einen Bombenanschlag auf eine Kundgebung iranischer Oppositioneller 2018 in der Nähe von Paris vorbereitet zu haben. Das Attentat konnte nur knapp vereitelt werden.
Peter De Roover von der oppositionellen N-VA sprach denn auch von einem Tiefpunkt für das Parlament. Hier werde ein Gesetz verabschiedet, von dem selbst einige Mehrheitsabgeordnete sehr wohl wüssten, dass es falsch ist, sagte De Roover mit bebender Stimme.
Die Abstimmung vom Mittwoch war aber noch nicht der Schlusspunkt. Keine zwei Tage später entschied der Brüsseler Appellationshof in einer einstweiligen Verfügung, dass Assadi bis auf weiteres nicht dem Iran überstellt werden dürfe. Ansonsten droht ein Zwangsgeld in Höhe von 500.000 Euro. Geklagt hatte unter anderem eine Vereinigung von Exil-Iranern.
USA verärgert
Und jetzt drohen neue Schwierigkeiten, diesmal diplomatischer Art. Wie die Zeitungen Het Laatste Nieuws und De Morgen berichten, erwägen die USA, die Auslieferung von Assadi zu beantragen. Und es gäbe auch einen "Amerika-Bezug": Auf der Gästeliste der Kundgebung, die 2018 attackiert werden sollte, standen auch US-Bürger, unter anderem der ehemalige New Yorker Bürgermeister Rudy Giuliani, der auch ein enger Berater des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump war.
Ohnehin hatte die US-Regierung in den vergangenen Wochen gleich mehrmals ihre Verärgerung über den belgischen Gefangenendeal mit dem Iran zum Ausdruck gebracht. Und sollten sich die USA dazu entschließen, die Auslieferung von Assadi zu beantragen, dann wäre das eine Bitte, die Belgien nur schwerlich abschlagen könne, sind sich Beobachter einig. Den Amerikanern "Nein", und den Iranern zugleich "Ja" zu sagen, das wäre diplomatischer Selbstmord.
Roger Pint