Poker oder Schwarzer Peter? Es ist noch nicht mal klar, welches Spiel da in der Rue de la Loi derzeit gespielt wird. Es gibt in der Tat zwei Möglichkeiten.
Erste Variante: Alle Verhandlungspartner meinen es ernst, sehen auf dem Tisch ausreichend Elemente für ein ausgewogenes Abkommen. Es geht also nur noch darum, die Puzzlestücke zusammenzusetzen.
Befindet man sich in einer solchen Phase, dann geht es tatsächlich zu wie auf einem Viehmarkt. Es wird gehandelt, gefeilscht, gepokert. Dazu gehört auch eine gehörige Portion Theaterdonner, Inszenierung, Dramatisierung.
Und am Ende kann dann jeder im Schweiße seines Angesichtes vor seine jeweilige Öffentliche Meinung treten und das Abkommen verkaufen nach dem Motto: "Schön ist es nicht, aber wir haben alles gegeben".
"Variante 2" sieht auf den ersten Blick, zumindest was die Dramaturgie angeht, ähnlich aus. Es gibt nur einen entscheidenden Unterschied: Jeder weiß, dass die Schnittmenge zu klein bis inexistent ist, dass das, was auf dem Tisch liegt, viel zu weit respektive nicht ansatzweise weit genug geht, dass also eine Einigung de facto unmöglich ist.
In diesem Fall geht es nur noch darum, den Abgang so zu inszenieren, dass man selbst möglichst unbeschadet aus der Sache herauskommt. Vor allem muss man seinen Wählern klarmachen, dass die Schuld an dem Debakel der jeweils andere trägt.
Wie soll das Geld verteilt werden?
Es geht ja nach wie vor um ein neues Finanzierungsgesetz, also um die Frage, wie das Geld künftig in diesem Land verteilt werden soll. Wie viele Steuern erhebt der Föderalstaat, wie viele die Teilstaaten? Kann jeder mit dem Geld, das er künftig bekommen wird, leben? Wird man damit zugleich der flämischen Forderung nach einer deutlichen Erhöhung der finanziellen Eigenverantwortung gerecht? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt der Diskussionen.
Johan Vande Lanotte hat jetzt offensichtlich die Wahrheit da gesucht, wo sie sich sprichwörtlich befindet: in der Mitte. Sein neuer Vorschlag ist nichts anderes als ein Mix aus den flämischen und den frankophonen Vorstellungen. Beide Seiten müssen jetzt abwägen, ob dieser Mix fair ist, ob entscheidende Forderungen und Schutzklauseln nicht verwässert werden.
Positiv, aber zurückhaltend
Poker oder Schwarzer Peter? Fest steht: die Flamen haben zunächst positiv auf den Kompromissvorschlag von Johan Vande Lanotte reagiert. Zumindest haben sie ihn nicht vom Tisch gefegt.
Was heißt das jetzt? Zwei Möglichkeiten: Zum einen kann das ein taktischer Schritt sein. Man akzeptiert, in der Hoffnung, dass die Frankophonen den Entwurf abschießen. Die müssten dann mit dem Vorwurf leben, sechs Monate Arbeit in den Mülleimer befördert zu haben. Oder aber, die Flamen können tatsächlich mit dem Vorschlag leben. Und wenn dann auch die Frankophonen den Entwurf als Gesprächsgrundlage akzeptieren, dann wäre das der erste Hoffnungsschimmer seit Wochen, gar Monaten.
Das Treffen zwischen Vande Lanotte und den Frankophonen ist inzwischen vorbei. Und die Reaktion der Frankophonen passt genau ins Bild: stellvertretend für PS, CDH und ECOLO wird Sozialistenchef Elio Di Rupo mit den Worten zitiert, der Vande Lanotte-Vorschlag habe was für sich, sei nicht uninteressant. Wörtlich: "digne d'intérêt", also: Der Text ist es wert, dass man sich mal damit auseinandersetzt.
Unverbindlicher geht nicht: "Jaaaa, warum nicht... OK, das könnte man sich mal genauer angucken". Besser könnte man den allgemeinen Eiertanz nicht illustrieren.
Sechs Monate für die Katz?
Poker oder Schwarzer Peter? Entweder findet hier gerade eine wirkliche Annäherung statt zwischen beiden Seiten. Keiner von beiden darf dann naturgemäß zu euphorisch reagieren, um sich nicht gleich zu entblößen, die Pokerpartie wäre ja damit längst noch nicht vorbei.
Oder aber, man denkt "Nein!", will es aber nicht aussprechen, um eben nicht den Bürgern danach erklären zu müssen, warum man sechs Monate gebraucht hat, um am Ende doch die Brocken hinzuschmeißen.
Eins ist sicher: Endlos kann man sich nicht mit Unverbindlichkeiten über Wasser halten.
Johan Vande Lanotte jedenfalls scheint der Ansicht zu sein, über ausreichend neue Elemente zu verfügen, um dem König einen neuen Zwischenbericht vorzulegen. Im Anschluss will er gleich seine bilateralen Gespräche mit einzelnen Parteien oder Sprachgruppen fortsetzen. Poker oder Schwarzer Peter? Vielleicht heißt das Spiel auch einfach nur Russisch-Roulette.
Bild: belga