Es ist ein mittlerweile ebenso bekanntes wie tristes Bild, dass sich rund um den Nord- und Südbahnhof, den Maximilianpark, entlang des Kanals und an diversen anderen Orten der Hauptstadt zeigt: Menschen, die um Asyl ersuchen und die trotz ihres Rechts auf Aufnahme und Unterbringung in einem Fedasil-Zentrum auf der Straße schlafen müssen.
Die Ursache ist, dass die 30.000 verfügbaren Aufnahmeplätze in den Zentren von Fedasil bereits seit Oktober letzten Jahres permanent belegt sind. Das führt dazu, dass insbesondere allein reisende Männer oft tagelang im Freien ausharren müssen, bevor ihnen eine Unterbringungsmöglichkeit angeboten wird.
Dagegen versuchen die Betroffenen, meist mithilfe des Flüchtlingswerks Flandern und der frankophonen Rechtsanwaltskammer, auch juristisch vorzugehen. Seit Beginn des Jahres sind über 1.400 Prozesse gegen Fedasil vor dem Brüsseler Arbeitsgericht angestrengt worden. In 90 Prozent der Fälle ist Fedasil auch verurteilt worden.
Aber trotz dieser sehr schlechten Bilanz für Fedasil scheint sich – wenn überhaupt – nur sehr wenig zu ändern. Laut Angaben des Flüchtlingswerks Flandern sollen letzte Woche erneut 200 Menschen auf einen Aufnahmeplatz gewartet haben. Damit will sich das frankophone Arbeitsgericht der Hauptstadt aber ganz offensichtlich nicht mehr zufrieden geben, wie unter anderem die Zeitungen De Standaard und La Libre Belgique berichten.
Das Gericht hat der Staatsanwaltschaft den Verdacht auf eine Straftat gemeldet. Aus den hunderten Urteilen gehe hervor, dass Fedasil "eine zielgerichtete, koordinierte und fortdauernde Praxis" betreibe, die darin bestehe, "Asylsuchenden, die eindeutig ein Recht darauf haben, das Recht auf Aufnahme nicht zuzuerkennen". Diese Praxis "scheine gewünscht, durchdacht und organisiert", so das Gericht. Und zwar von Asylstaatssekretär Sammy Mahdi.
Brief von Mahdi
Als Beleg für diese Anschuldigung verweist das Gericht auf einen Brief von Mahdi vom 8. Februar. Darin bestätigt Mahdi der deutsch- und französischsprachigen Anwaltskammer, dass nicht jede Person am Tag ihrer Registrierung durch Fedasil aufgenommen werde. Aufgrund des Mangels an Plätzen werde Familien und besonders gefährdeten Personen Vorrang gewährt. Personen, die bereits in einem anderen europäischen Land um Asyl ersucht hätten, kämen auf eine Warteliste.
Das stellt für das Gericht möglicherweise ein "durch Personen mit öffentlicher Autorität" errichtetes System dar, "mit dem Ziel, das gesetzlich festgelegte Recht auf Aufnahme nicht zuzuerkennen". Betonung wohlgemerkt auf "möglicherweise".
Aber der zuständige Richter will, dass der Prokurator des Königs des Gerichts erster Instanz den Vorwurf prüft. Sollte sich der Verdacht erhärten, dann könnte es sich um eine "Verschwörung öffentlicher Beamter" handeln. Das ist ein strafrechtlicher Verstoß, auf den bis zu fünf Jahre Gefängnis stehen können.
Mahdi antwortet auf Vorwürfe
Wenig überraschend weist Fedasil diese Vorwürfe rundheraus zurück und ist auch bereits in Berufung gegangen. Asylstaatssekretär Sammy Mahdi hat sich ebenfalls bereits persönlich zu Wort gemeldet: Es seien bereits zusätzliche Anstrengungen unternommen worden. Aber durch den großen Zustrom von Flüchtlingen reichten diese nicht. Es sei nicht so, dass Menschen zielgerichtet auf der Straße gelassen würden, so Mahdi in der VRT. Man versuche Plätze für die Personen zu finden, die ein Anrecht darauf hätten.
Wenn es aber eine Wartereihe gebe, in der unter anderem Menschen stünden, die sich schon in einem anderen europäischen Land als Asylsuchende registriert hätten, dann entscheide man sich eben dafür, die verfügbaren Plätze prioritär an Menschen zu vergeben, die noch nicht andernorts ein Recht auf einen Aufnahmeplatz hätten.
Und auch wenn er der Meinung sei, dass das aktuelle europäische System nicht gut funktioniere, so wisse er doch, dass Menschen, die in einem anderen Land einen Asylantrag gestellt hätten, dennoch in Belgien auch ein Recht auf Aufnahme haben könnten und dem auch entsprochen werden müsse, erklärte der Asylstaatssekretär in der RTBF. Und das tue man ja auch. Aber aufgrund des Platzmangels eben nach Dringlichkeit des Falls.
Boris Schmidt