Zusammengefasst ist die Nationalbank insgesamt doch eher optimistisch: Sie rechnet nicht mit einer Rezession, im Gegenteil. Die nächsten paar Monate wird die Wirtschaft zwar noch auf einem Plateau bleiben, aber gegen Ende des Jahres soll sie anziehen und wieder mit einem normalen Tempo wachsen.
Was die Inflation betrifft, so erreicht diese laut Nationalbank gerade ihren Höhepunkt und wird nach dem Sommer beginnen zu sinken. Gegen Ende 2023 soll sie dann endlich wieder ein "sicheres" Niveau von unter zwei Prozent erreichen - einen typischen Wert für eine normal wachsende Wirtschaft.
Gute Prognosen hat die Nationalbank auch für den Arbeitsmarkt: Die Arbeitslosigkeit soll bis 2025 auf 5,5 Prozent fallen. Ein außergewöhnlich niedriger Wert für Belgien, wie die Nationalbank hervorhebt.
All diese Vorhersagen sind allerdings auch mit einer gehörigen Portion Vorsicht zu genießen, wie die Nationalbank ebenfalls betont: Denn sie basieren auf der Annahme, dass der Angriffskrieg Russlands nicht weiter eskaliert und die Aggressionen Moskaus nicht noch schärfere Sanktionen des Westens nach sich ziehen. Und darauf, dass sich die Lieferketten wieder normalisieren.
Indexanpassung
Aber auch sonst ist der Bericht keine "Friede, Freude, Eierkuchen"-Botschaft: Die hohen Preise und die damit zusammenhängende automatische Indexanpassung der Löhne werden die Lohnkosten auch weiter stark steigen lassen. Bis 2024 um 14 Prozent, laut den Zahlen der Nationalbank.
Aber besagtes Werkzeug der Indexanpassung sorgt eben auch dafür, dass die Privathaushalte, sprich die Kaufkraft der Bürger, in Belgien wesentlich besser geschützt sind als in den meisten anderen europäischen Ländern. Besser heißt aber nicht vollständig geschützt: Weil die Energiepreise momentan schneller steigen als die Löhne verlieren Familien effektiv einen Teil ihrer Kaufkraft.
Aber das wird nicht so bleiben, wie der Gouverneur der Nationalbank, Pierre Wunsch, in der RTBF ausführte: Ab 2023 werde der Kaufkraftverlust komplett durch die Lohnindexierung ausgeglichen werden, so Wunsch. Außerdem seien zumindest Haushalte mit geringen Einkommen auch durch die Energiemaßnahmen der Regierung besonders gut geschützt im Vergleich zu anderen Ländern.
Aber was eine gute Nachricht für die Familien ist, ist eine schlechte für die Staatsfinanzen und die Unternehmen. Sie sind es, die die Kosten für den Energieschock vor allem tragen werden. Die Regierung nimmt zum Beispiel durch die Mehrwertsteuersenkung auf Strom und Gas weniger ein und hat trotzdem durch die Energiestützmaßnahmen wie den ausgeweiteten Sozialtarif mehr Ausgaben.
Die Betriebe können die höheren Kosten nicht komplett durchreichen. Und ihre Wettbewerbsfähigkeit wird zusätzlich durch die automatisch steigenden Löhne weiter unter Druck gesetzt, was in den Nachbarländern nicht so ist. Aufgrund der sehr hohen Gewinnmargen geht Wunsch aber davon aus, dass die allermeisten belgischen Betriebe das wegstecken können. Die Nationalbank sieht auch keine Anzeichen für eine anhaltende Lohn-Preis-Spirale.
Warnung an die Regierung
In diesem Zusammenhang hat die Nationalbank auch sehr mahnende Worte an die Politik: Heute stehe die Regierung unter sehr großem Druck vonseiten der Bevölkerung, für eine vollständige Kompensation der Preisschocks zu sorgen. Das sei aber nicht möglich, unterstrich Wunsch in der VRT. In Zeiten von Corona habe man sehr viel tun müssen und auch sehr viel tun können – denn durch die niedrigen Zinsen habe sich der Staat sehr günstig Geld leihen können.
Jetzt sei das aber nicht mehr so. Das strukturelle Haushaltsdefizit werde dieses Jahr auf 4,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes steigen und auch bis 2024 weiter bei fünf Prozent liegen. Belgien habe deswegen keine Puffer mehr für eventuelle weitere Schocks. Sollte es zu einer echten Rezession kommen, könne die Situation außer Kontrolle geraten.
Deswegen habe der Staat auch kaum noch Spielraum. Zwar seien noch hier und da vereinzelte Maßnahmen möglich, aber nur sehr temporärer und sehr gezielter Natur. Von breiten strukturellen Unterstützungsmaßnahmen dürfe keine Rede sein, so Wunsch. Und das müsse auch die Politik verinnerlichen: Sie müsse aufhören, den Menschen vorzugaukeln, dass der Staat Ausgleichszahlungen für alles und jeden leisten könne.
Boris Schmidt