Das Ende der Kernenergie sollte durch den Bau neuer Gaskraftwerke kompensiert werden - als Übergangslösung, bis Belgien vollständig mit regenerativen Energien auskommt. Doch knapp vor der Ziellinie sieht es danach aus, dass der Atomausstieg in Belgien erst mal doch nicht stattfindet. Eigentlich sollte die Grundsatzentscheidung der Regierung am 18. März fallen. Der Plan A sah den schrittweisen Atomausstieg bis 2025 vor. Im Moment sind noch alle sieben Reaktoren von Doel und Tihange am Netz.
Die Energiekrise und der Krieg in der Ukraine versetzen die Regierung in eine neue Realität. Sie möchte nicht noch abhängiger von russischem Gas werden und die Kriegskasse Russlands weiter füttern. Deshalb ist jetzt die Laufzeitverlängerung der beiden jüngsten Atomreaktoren – Tihange 3 und Doel 4 - wieder ein mögliches Szenario.
Plan B wird möglicherweise Plan A
Das wäre der sogenannte Plan B. Dafür hatten sich innerhalb der Vivaldi-Regierung die frankophonen Liberalen der MR stark gemacht. Sie haben jedenfalls dafür gesorgt, dass dieser Plan B mindestens bis zum 18. März ein Thema bleibt. Und jetzt wird dieser Plan B eigentlich zum Plan A. Tihange 3 und Doel 4 sind die jüngsten und modernsten Anlagen mit der größten Kapazität. Eine Laufzeitverlängerung von 40 auf 50 Jahre scheint hier kein Problem zu sein: Dies ist bereits bei den drei ältesten Reaktoren geschehen.
Aber so einfach wie man glauben mag, ist es dann doch nicht. Eigentlich ist der Zug schon längst abgefahren. Electrabel hat schon vor Jahren eine Laufzeitverlängerung für mindestens drei Reaktoren gefordert. Jean-Pierre Clamadieu, der Präsident von Engie, sagte damals, dass der Konzern die Verlängerung der letzten beiden Reaktoren sowie von Tihange 1 befürworte. Nachdem die Vivaldi-Koalition, die den Atomausstieg fortsetzen wollte, an die Macht kam, änderte Engie seinen Standpunkt und in den letzten Monaten lautete die wichtigste Botschaft, dass es für eine Laufzeitverlängerung sowieso bereits zu spät sei.
Politische Beobachter und Experten haben schon mehrmals gewarnt, dass die belgische Regierung, sollte sie sich doch für eine Laufzeitverlängerung entscheiden, bei Engie auf den Knien darum betteln müsse. Auf den Knien betteln heißt dann, dass man den Geldbeutel ganz weit öffnen muss, weil die Betreiber der Atomkraftwerke in einer besseren Verhandlungsposition sind.
Jetzt berichtet die Wirtschaftszeitung De Tijd darüber, dass man immer mal wieder hören könne, wie sich Energieexperten dafür aussprechen, sogar weitere Reaktoren länger in Betrieb zu halten. Bart De Wever, der Vorsitzende der Oppositionspartei N-VA, hat sich schon für eine breitere Laufzeitverlängerung ausgesprochen. Ob das realistisch ist, ist sehr fraglich. Man soll zwar niemals 'Nie' sagen. Aber schon die Laufzeitverlängerung der zwei jüngsten Reaktoren ist eine Herausforderung.
Laufzeitverlängerung älterer Reaktoren scheint unmöglich
Zusätzliche Reaktoren länger in Betrieb zu halten, wird noch schwieriger sein. Man muss auch klar sagen, dass dieses Szenario offiziell noch nicht von der Regierung in Betracht gezogen wird. Die Studien, die unter anderem von der belgischen Atomaufsichtsbehörde (Fank) durchgeführt wurden, haben sich bislang nur mit der Laufzeitverlängerung von Tihange 3 und Doel 4 befasst. Ältere Reaktoren standen bislang nicht zur Diskussion.
Eine Verlängerung der Lebensdauer der älteren Reaktoren ist nahezu unmöglich. Zumindest für Doel 3 und Tihange 2. Doel 3 wird schon im Oktober dieses Jahres geschlossen, Tihange 2 im Februar 2023. Die Bestellung von neuen Brennelementen - angepasst an einen Reaktor - dauert viele Jahre. Es scheint fast unmöglich zu sein, bis Oktober zusätzliche Brennelemente bereitzustellen. Alle Zeichen stehen auf Schließung.
Engie nannte eine 180-Grad-Wende auch unrealistisch. Die beiden Reaktoren sind zudem nicht nur in Belgien als die "Rissereaktoren" bekannt. Man hatte dort in den Reaktorbehältern aus Stahl Tausende von Haarrissen gefunden. Nach genauerer Untersuchung hatte sich herausgestellt, dass es sich um zerquetschte Wasserstoffblasen handelt. Nach einer langwierigen Untersuchung hatte die Atomaufsichtsbehörde Fank grünes Licht gegeben, die Reaktoren länger in Betrieb zu halten, allerdings nur unter strengeren Auflagen.
Engie und die Rue de la Loi sind sich einig, dass eine Laufzeitverlängerung dieser Reaktoren als politisch nicht durchführbar anzusehen ist. Aber auch die Laufzeitverlängerung der Reaktoren Tihange 2 und Doel 1 und 2 gilt als unrealistisch, weil es veraltete Reaktoren sind – also auch mit veralteter Technik.
tijd/mz/est
Auch ohne diese Katastrophe in der Ukraine wäre unsere Energieversorgung gefährdet gewesen.
Es war die plumpe Idee einer grünen Energiewende, die die Energieversorgung Belgiens und anderswo verteuerte und ins Wanken brachte, nicht Putins Krieg.