Keiner war auf den Krieg in der Ukraine richtig vorbereitet. Am Anfang schossen die Fragen quer durcheinander. Nicht nur bei Erwachsenen war das so. Sondern auch bei Kindern. Das erzählt David Wathelet, Redakteur bei 'Niouzz', eine tägliche Nachrichtensendung für Kinder im RTBF-Fernsehen.
Fragen ernst nehmen
Die Fragen, die Kinder über soziale Medien an die Niouzz-Redaktion gestellt hätten, seien fast immer die gleichen gewesen, erzählt Wathelet. Es seien vor allem drei gewesen. Nämlich: Wird mein Papa jetzt weggehen und mitkämpfen müssen? Wird der Dritte Weltkrieg ausbrechen? Wird eine Atombombe auch Belgien treffen können? "Diese Fragen haben wir sehr ernst genommen und versucht, sie zu beantworten", berichtete Wathelet im RTBF-Radio. Keine Frage sollte offen bleiben, kein Loch, das durch eine Frage gebohrt wird, unausgefüllt. "Denn", so sagte es der Journalist, "es gibt nichts Schlimmeres als die Leere, mit der man ein Kind alleine zurücklässt. Diese Leere schafft Raum für alle möglichen Phantasmen, mit denen die Kinder die Leere ausfüllen wollen."
Genau die gleiche Meinung vertritt auch der Bildungspsychologe Bruno Humbeeck. Er lobte die bildliche Sprache des Journalisten Wathelet: "Er hat das hervorragend beschrieben", sagte Humbeeck, "mit dem Ausdruck: Löcher ausfüllen. Das ist unwahrscheinlich wichtig. Angst und Beklemmung sind viele Löcher hintereinander, sogar ein einziges, riesiges Loch, das nicht mit Worten, mit Antworten gefüllt wird." Deshalb sei es wichtig, mit Kindern über den Krieg zu sprechen und alle Fragen ernst zu nehmen, die sie dazu stellen.
Vorsicht bei der Wahl der Worte
Dabei müsse man aber auch vorsichtig sein, welche Wörter man zum Erklären benutze. Der Psychologe machte das an einem Ausdruck deutlich, der zurzeit oft verwendet wird. Nämlich: Der Krieg findet vor unserer Tür statt. "Das ist ein ganz schlimmer Ausdruck für Kinder", sagte der Psychologe. Denn er vermittle das Gefühl, dass eine Gefahr unmittelbar bevorstehe. "Ein Kind, das so eine Aussage hört, wird dadurch unweigerlich in einen Angstzustand versetzt. Also in diese absolute Leere, die immer mehr Raum einnehmen wird, wenn man ihm keine Erklärungen liefert."
Den Krieg für Kinder erklären, das muss eben mit anderen Bildern und Worten geschehen, als wenn man unter Erwachsenen über den Krieg redet. Das weiß auch Journalist Wathelet. Bei 'Niouzz' werde zum Beispiel auf Bilder von Kriegsopfern verzichtet. Gewalt sei nicht zu sehen. Und auch beim Erklären der Zusammenhänge und Auswirkungen des Krieges müsse man bei Kindern Abstriche machen. "Wir müssen sehr komplexe Dinge sehr einfach erklären", sagt Wathelet. "Das geht natürlich auf Kosten vieler Details und Nuancen. Aber wir geben den Kindern damit immerhin die Möglichkeit, die Dinge zu verstehen und können sie dadurch beruhigen."
Nicht nur über Krieg sprechen
Und irgendwann müsse dann auch mal Schluss sein, mit Kindern über den Krieg zu reden. Erklären ja, aber auch deutlich machen, dass es hier in Belgien auch noch andere Dinge gibt, die den Alltag der Menschen ausmachen. "Man muss natürlich über den Konflikt sprechen", sagt Bildungspsychologe Humbeeck. "Aber man darf nicht nur über diesen Konflikt sprechen. Man muss auch über etwas anderes reden, den Kindern andere Geschichten erzählen, damit sie nicht ständig Angst haben und sich dauernd beklommen fühlen."
Kay Wagner