Wir haben der Bestie endlich direkt in die Augen geschaut, schreibt die Leitartiklerin von "Le Soir". Und damit ist es auf den Punkt gebracht: Die VRT hat die Slogans, Drohungen, Thekenparolen in die Realität zurückgeholt. Denn die VRT-Reportage mit ihren zahllosen Statements von namhaften und weitgehend unverdächtigen Universitäts-Professoren lässt mindestens einen objektiven Schluss zu: Mit Plan B zu drohen, ist eine Sache, ihn umzusetzen ist eine ganz andere.
Zugegeben, viel Neues hat der Zuschauer nicht erfahren. Dass es nicht so einfach ist, ein Land zu spalten, zumal ausgerechnet Belgien, das leuchtet jedem ein, da muss man kein versierter Akademiker sein. Dennoch: Das Verdienst der Reportage ist es, hier einmal ein Gesamtbild zu präsentieren, wobei die einzelnen Puzzlestücke jeweils beigesteuert werden von ausgewiesenen Experten in ihren jeweiligen Bereichen. Das Ganze betont unpolitisch, allein auf wissenschaftlichen Fakten fußend.
Denn nur darum geht es! Ob in Belgien zusammenlebt, was zusammengehört, ob man Belgien nun als einen bedauernswerten Betriebsunfall der Geschichte betrachtet, oder als eine Chance, diese Fragen muss jeder für sich selbst beantworten. Hier geht es ausschließlich um die Wirklichkeit - nicht die politische Wirklichkeit, sondern die Realität: um Tatsachen.
Und die Wirklichkeit sieht so aus: Auf der einen Seite kommt zwar keiner der Fachleute zu dem Schluss, dass eine Spaltung wirklich undenkbar wäre. Doch ist man sich auch in einem anderen Punkt weitgehend einig. Die Scheidung der innerbelgischen Ehe wäre ein äußerst komplexes und langwieriges Unterfangen. Denn bis zum Beweis des Gegenteils müsste eine Spaltung ausgehandelt werden.
"Na, das kann ja heiter werden!" wäre man geneigt zu sagen. Zur Spaltung der Tschechoslowakei, die ohnehin nur bedingt als mögliches Vorbild durchgeht, waren 38 Abkommen nötig. In Belgien hat man nach über 160 Tagen noch nicht eins hinbekommen! Nach der derzeitigen Gemengelage würden die Scheidungsgespräche wohl Jahre dauern, und das ist noch optimistisch. Nur zur Erinnerung: Die Grenzziehung zwischen Holland und Belgien hat 165 Jahre gedauert und war erst 1995 offiziell abgeschlossen.
Damit verbunden die bange Frage, die auch ein Wirtschaftsprofessor formuliert: Wie würden die Finanzmärkte auf diese Hängepartie reagieren? Es stehe zu befürchten, dass die Zinsen auf die Staatsschuld um mindestens einen Prozentpunkt ansteigen würden. Auf Flandern herunter gebrochen wären das mal eben zwei Milliarden Euro.
Und auch die Erfolgschancen stünden mit Sicherheit nicht besser als bei den jetzigen Gesprächen. Da braucht man gar nicht die Frage ins Feld zu führen, ob und wie die Soziale Sicherheit spaltbar wäre. Es reicht das Schicksal von Brüssel, dagegen ist BHV nämlich noch gar nichts.
Denn Vorsicht, hier handelt es sich nicht um eine Sandkasten-Querele nach dem Motto "Hauptsache, der andere bekommt Brüssel nicht". Es ist umgekehrt: Keiner der beiden kann auf die Strahlkraft Brüssels verzichten. Jeder ist auf Brüssel angewiesen. Deswegen kann auch ein gänzliches Loslösen der Hauptstadt für keinen der beiden eine Option sein. Für ein eigenständiges Gebilde ist Brüssel ohnehin zu klein. Und die Variante "Europäischer Distrikt" ist auch reine Science Fiction. Die Europäischen Institutionen sind mit Sicherheit nicht gewillt, sich in Zukunft auch noch um die Ampelanlagen in der Avenue Louise zu kümmern. Bleibt ein Kondominium, also eine Ko-Verwaltung Brüssels durch Flandern und die Wallonie - doch dafür ist wohl kein einziger Brüsseler zu gewinnen.
Ein Fazit der VRT-Reportage lautet also: Niemand, auch nicht die flämische Bewegung, hat ein Rezept für Brüssel. Stichwort flämische Bewegung: Bei den N-VA-Vertretern war das Unbehagen nach der Sichtung der Fernsehsendung nicht zu übersehen. Vielleicht, weil man befürchtet, dem einen oder anderen Neu-Wähler könnte aufgehen, für wen er da eigentlich gestimmt hat.
Zugegeben: Es bleibt immer noch eine Fernsehreportage, die zudem anscheinend keine astronomischen Einschaltquoten hatte, man sollte hier also nichts überbewerten. Dennoch: das Schreckgespenst einer Spaltung des Landes ist erstmal entzaubert.
Was heißt das jetzt? Dass Belgien dafür notwendigerweise ewig währen muss? Nein! Ob Spaltung oder nicht, das ist - wie auch der VRT-Journalist schlussfolgert - mehr denn je eine rein politische Entscheidung. Nur ist es so, dass die möglichen Folgen jetzt noch einmal klar geordnet im öffentlichen Raum stehen - insbesondere in Flandern, wo die Versuchung vielleicht am größten wäre, und zudem aus dem Mund von flämischen Experten.
Für jeden, der es vielleicht vergessen haben sollte, ist jetzt noch einmal deutlich, dass "Plan B" - so verlockend er auch dem einen oder anderen erscheinen mag - ein Abenteuer wäre mit völlig ungewissem Ausgang. Das sollte - man darf ja mal träumen - eigentlich alle Beteiligten dazu anspornen, "Plan A" endlich zu einem gütlichen Abschluss zu bringen. Danach sind es im Augenblick aber leider auch nicht aus ...