Umweltbedenken oder doch politische Sabotage? Fakt ist, dass die flämische Umweltministerin Zuhal Demir gerade für "politische Hochspannung" sorgt, wie es die Zeitung Het Laatste Nieuws formulierte.
Um "Hochspannung" geht es im wahrsten Sinne des Wortes: Um die Energiewende und zugleich den Atomausstieg möglich zu machen, will die Föderalregierung auf Gaskraftwerke setzen. Diese sollen für den Fall als Puffer dienen, dass kein Wind weht und auch die Sonne nicht scheint. Das hat vor allem praktische Gründe. Gaskraftwerke haben insbesondere den Vorteil, dass sie bei Bedarf schnell hochgefahren werden können.
Atomausstieg als Zeitfaktor
Das Problem ist das Timing. Weil die Energiepolitik in Belgien vor allem in den letzten 20 Jahren nicht gerade sehr geradlinig und noch weniger weitsichtig war, hinkt man dem Zeitplan hinterher. Die Gaskraftwerke müssten eigentlich schon stehen. Denn: Der Atomausstieg ist ja für 2025 geplant. Das ist in drei Jahren, also quasi morgen.
Im Eilverfahren sollen jetzt also Gaskraftwerke aus dem Boden gestampft werden. Die Wallonische Region hat schon mehr oder weniger grünes Licht für vier solcher Vorhaben gegeben. In Flandern ist da demgegenüber Sand im Getriebe.
Erneut keine Baugenehmigung
Mitte September verwarf die flämische Umweltministerin Zuhal Demir schon einen Antrag auf Baugenehmigung für ein Gaskraftwerk im limburgischen Dilsen-Stokkem. Und jetzt erteilt sie auch dem Bau einer solchen Anlage im limburgischen Tessenderlo eine Absage.
Drei Gründe gibt sie dafür an. Der wichtigste: Das Gaskraftwerk entspreche nicht den strengen, flämischen Stickstoffnormen. Und wir machen da auch keine Ausnahme für die Gaskraftwerke, sagte die N-VA-Politikerin in der VRT.
Auf den ersten Blick klingt dies nachvollziehbar. Und doch waren viele angesichts der Entscheidung überrascht. Im Vorfeld waren nämlich so gut wie keine Einwände formuliert worden: Es gab 21 positive Gutachten, demgegenüber stand nur eine negative Empfehlung.
Darauf angesprochen wich Zuhal Demir in der VRT aus: Ja, es gab eine Reihe von positiven Gutachten, es gab aber auch viele kritische Stimmen. Sie sage ja nicht prinzipiell Nein zu neuen Gaskraftwerken, betont derweil Zuhal Demir. Nur müsse sich jeder Antragsteller eben strikt an die flämischen Regeln halten.
Vorwurf parteipolitischer Spielchen
Kritiker nehmen der N-VA-Politikerin ihre "Umweltbedenken" aber nicht ab. Die Zeitung Het Nieuwsblad, die nicht unbedingt als N-VA-kritisch bekannt ist, schrieb in einem Leitartikel, dass die Argumente der Ministerin nur noch "schwer haltbar" seien. Vielmehr dränge sich der Verdacht auf, dass Zuhal Demir hier versuche, der Föderalregierung Steine in den Weg zu legen.
Es darf nicht vergessen werden: Die N-VA ist in Flandern Teil der Mehrheit, auf der föderalen Ebene sitzen die flämischen Nationalisten aber in der Opposition. Die These lautet also: Die N-VA versuche, über ihre Hebel in der flämischen Regierung ihre politische Agenda auf der föderalen Ebene durchzudrücken. Denn jeder weiß, dass die N-VA gegen den Bau von neuen Gaskraftwerken ist und stattdessen weiter auf Atomkraft setzen will.
Die föderale Energieministerin Tinne Van der Straeten wollte sich aber offensichtlich nicht wirklich an diesen Spekulationen beteiligen. In der VRT wies sie lediglich darauf hin, dass die Problematik der Versorgungssicherheit eine gemeinsame Verantwortung sei: Das gehe alle Regierungen des Landes an. Wenn es um Versorgungssicherheit gehe, dann gehe man auch am besten keine Risiken ein. Davon abgesehen habe die N-VA ja auch schon im Parlament für den Bau von Gaskraftwerken gestimmt.
Ergänzung durch andere Energieträger
Das Ganze sorge aber dann doch nicht wirklich für Beunruhigung, schreibt Het Laatste Nieuws. Wenn man auf Atomkraft verzichten wolle, dann reichten zwei bis drei Gaskraftwerke und die seien ja schließlich in der Wallonie in Planung.
Hinzu kommt, sagte Tinne Van der Straeten in der RTBF: Gerade erst habe man für den Ausbau des Offshore-Windparks vor der Küste grünes Licht gegeben. Die Kapazität der Anlage werde sich bis 2026 verdreifachen auf dann sechs Gigawatt: das entspricht der Leistung von sechs Atomreaktoren.
Deswegen werde man mittelfristig ohnehin nicht so wirklich viel Leistung aus den Gaskraftwerken brauchen. In jedem Fall werde der Atomausstieg kommen, verspricht die Energieministerin. Dies ist ein klares Bekenntnis zum Atomausstieg, wobei sich die Regierung erst in ein paar Wochen abschließend darüber aussprechen will.
Roger Pint