Inwieweit die Irrungen und Wirrungen auf den letzten Metern echtes Drama oder doch wieder nur das übliche politische Theater oder gar Strategie und Taktik waren, darüber könnte man viel spekulieren. Aber am Ende ist es wie immer nur das Ergebnis, das zählt: Das ist, dass trotz aller inhaltlichen und ideologischen Differenzen in der doch sehr heterogenen Vivaldi-Koalition endlich ein Haushaltsentwurf für das kommende Jahr steht.
Es gehe um ein sehr großes Paket mit über hundert verschiedenen Beschlüssen, leitete Premier De Croo die Pressekonferenz ein - einige davon eher kleinerer Natur, andere aber durchaus recht einschneidend. Die Föderalregierung habe hier fundamentale Arbeit geleistet, unterstrich De Croo. Denn das Land befinde sich an einem Wendepunkt. Man komme gerade aus einer Pandemie und auch aus einer Wirtschafts-Krise. Deswegen sei die essenzielle Frage nicht nur, wie man das Wachstum wiederherstellen könne, sondern auch, wie neues Wachstum gefördert werden könne.
Menschen
Es gehe aber nicht nur um Wirtschaft, sondern auch um die Menschen. Den Menschen müssten neue Chancen gegeben werden und sie müssten die Möglichkeit bekommen, um für sich selbst zu sorgen, so der Premier. Und das sei eben das Ziel des Haushalts und der anderen Maßnahmen:
Zunächst die Eckdaten: Das Haushaltsdefizit soll 2022 von jetzt 5,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf dann 3,1 Prozent abgebaut werden. Vorgesehen sind Einsparungen in Höhe von 2,4 Milliarden Euro und eine Verbesserung der Haushaltsbilanz um zehn Milliarden Euro. Finanziert werden soll das aber nicht nur über Einsparungen, sondern auch über einen Aktionsplan gegen Sozial- und Steuerbetrug, die Effektensteuer und höhere Akzisen auf Tabak, sowie über einen großen Plan zur Bekämpfung der Arbeitsunfähigkeit.
Dieser Plan soll zur Erhöhung des Beschäftigungsgrads auf 80 Prozent bis 2030 beitragen: Arbeitnehmer sollen kein ärztliches Attest mehr vorlegen müssen, wenn sie nur einen Tag krank sind. Diese Regelung ist allerdings auf drei Mal pro Jahr beschränkt und es gibt Ausnahmen für kleine und mittlere Unternehmen.
Langzeitkranken, die sich einer Mitarbeit bei der Reintegration in den Arbeitsmarkt verweigern, sollen mit Einbußen ihrer Bezüge bestraft werden können. Sanktionen drohen aber auch Arbeitgebern mit mehr als 50 Angestellten, in deren Betrieben es überdurchschnittlich viele Krankmeldungen gibt. Krankenkassen, die zu wenige Menschen zurück zur Arbeit bringen, können ebenfalls Strafen drohen. Die Gemeinschaften des Landes sollen mehr Geld vom Föderalstaat bekommen, um Langzeitkranke besser auf ihrem Weg zurück in den Arbeitsmarkt zu begleiten.
Reform des Arbeitsmarktes
Ein weiteres großes Dossier ist die Reform des Arbeitsmarktes: Hier wird es möglich, seine Wochenarbeitszeit an nur vier, anstatt wie bisher fünf Tagen abzuleisten. Hierzu werden allerdings noch Gespräche zwischen Regierung und den Sozialpartnern stattfinden.
Ebenfalls mit den Sozialpartnern wird über die Abend- und Nachtarbeit im E-Commerce-Sektor gesprochen werden - von Sonntagsarbeit ist hingegen keine Rede mehr. Ein weiterer Punkt ist, dass Arbeitslose ermuntert werden sollen, sich in anderen Regionen des Landes auf Stellen zu bewerben. Die Regionen sollen in puncto Arbeitsmarktpolitik auch mehr Autonomie erhalten. Die Föderalregierung will außerdem die Problematik der Mangelberufe angehen, etwa durch Vergünstigungen. Arbeitnehmer bekommen fünf Tage für individuelle Fortbildungen, außerdem sollen Abfindungen für Fortbildungen verwendet werden.
Anpassungen bei Steuer und Sozialabgaben
Anpassungen soll es auch bei der Steuer und bei den Sozialabgaben geben: Spitzensportler sollen mehr Sozialabgaben zahlen. Andererseits soll der sogenannte "besondere Sozialversicherungsbeitrag" abgeschafft werden, weil der die arbeitende Mittelklasse über Gebühr belastet. Außerdem sollen Steuervorteile für ausländische Führungskräfte und Expats abgebaut werden. Es soll eine neue Steuer für Flüge über eine Entfernung von weniger als 500 Kilometern geben. Damit sollen Reisende zum Umstieg auf andere Verkehrsmittel wie den Zug animiert werden. De Croo kündigte außerdem auch Investitionen im Wert von über einer Milliarde Euro, verteilt über die nächsten drei Jahre an.
Die Föderalregierung wird auch versuchen, die Auswirkungen der stark gestiegenen Energiepreise abzufedern: Für Haushalte mit niedrigen Einkommen wird der ausgeweitete Sozialtarif verlängert, außerdem bekommen sie einen einmaligen Preisnachlass. Menschen, die kein Anrecht auf den Sozialtarif haben, sollen bei einem speziellen Gas- und Elektrizitätsfonds der Öffentlichen Sozialhilfezentren Unterstützung beantragen können.
Die föderalen Steuern auf die Energierechnung werden in Akzisen umgewandelt. Weil die leichter angepasst werden können, soll dadurch die Rechnung für alle Haushalte etwas günstiger werden. Über eine Energienorm soll außerdem ab 2022 dafür gesorgt werden, dass die Energiepreisentwicklung in Belgien der der Nachbarländer entspricht. Es werden eine ganze Reihe von Maßnahmen ergriffen, die Energieverträge und -rechnungen für den Verbraucher verständlicher und transparenter machen sollen.
Boris Schmidt