Was ist am 24. Februar 2018 genau passiert? Diese Frage raubt nicht nur der Witwe von Jozef Chovanec seit mehr als drei Jahren den Schlaf. Ans Licht gekommen war der Fall erst im August letzten Jahres, also zweieinhalb Jahre später. Bilder einer Überwachungskamera waren aufgetaucht, die wirklich haarsträubende Szenen zeigten.
Unter anderem sieht man, wie ein Beamter geschlagene 16 Minuten lang mit vollem Gewicht auf dem Brustkorb des Mannes sitzt, während neben ihm eine junge Polizistin den Hitlergruß zeigt. Davon abgesehen ist eigentlich nur das tragische Ende der Geschichte bekannt: Drei Tage später war Jozef Chovanec tot, gestorben im Krankenhaus. Als Todesursache wird damals "Herzinfarkt" angegeben.
Nur, dass das Ganze eben einen Vorlauf hatte. Und der soll heute und morgen nun buchstäblich "minutiös" nachgestellt werden. Was übrigens auch für Behinderungen am Flughafen Charleroi sorgen wird, denn die Rekonstruktion wird zum Teil auf dem Flugfeld und auch in der Abflughalle stattfinden.
Begonnen hatte alles in einem Flugzeug, das Jozef Chovanec eigentlich nach Bratislava bringen sollte. Beim Einsteigen beginnt er zu randalieren, aus anscheinend unerfindlichen Gründen. Der Flugkapitän weigert sich daraufhin, den Mann mitzunehmen und er wird des Flugzeugs verwiesen. Auf dem Flugfeld rastet der Geschäftsmann dann richtig aus. Er muss von Polizisten überwältigt werden, die schon da, sagen wir, "beherzt" zupacken (müssen).
Danach wird Chovanec in eine Arrestzelle gebracht. Doch er beruhigt sich nicht. Er verletzt sich wiederholt selbst, indem er unter anderem mit dem Kopf gegen die Zellentür schlägt. Die Polizisten entscheiden sich daraufhin, einzugreifen. Sie übermannen ihn - allerdings auf eine sehr brutale Art und Weise. Und dabei entstehen dann die besagten Bilder, Bilder von ziemlich roher Gewalt, begleitet offensichtlich von dummen Scherzen.
"Wir kennen bislang nur die Bilder", sagte in der RTBF Ann Van de Steen, die Anwältin von Henrieta Chovancova, der Witwe des Geschäftsmannes. "Nur die Bilder, ohne Ton. Wir wüssten also gerne, was genau passiert ist, wer was gesagt oder getan hat."
Die Episode in besagter Arrestzelle hat ja noch viel länger gedauert. Unter anderem wurde auch ein Arzt hinzugezogen. Später dann wurde Chovanec ins Krankenhaus gebracht, wo er drei Tage später verstarb.
Haarfein wird man also den Hergang nachstellen. Alle Akteure werden anwesend sein, werden ihre Handlungen von damals schildern und eben auch wiederholen. Das Ganze kann jederzeit vom Untersuchungsrichter unterbrochen werden, der zusätzliche Fragen stellen kann. Fragen, die auch von den Nebenklägern aufgeworfen werden können, unterstreicht Ignacio de la Serna, Generalprokurator von Mons. Die Nebenkläger können bei einer Rekonstruktion eine aktive Rolle spielen, vielleicht im Gegensatz zur bisherigen Prozedur.
Fragen hat Henrieta Chovancova genug. Und endlich wird sie sie stellen können. In der Hoffnung, dass sich alle Beteiligten der Situation wirklich bewusst sind, sagt ihre Anwältin Ann Van de Steen. Dass sie wirklich begreifen, was sie an jenem unseligen 24. Februar 2018 getan haben. In diesem Sinne sei das auch eine direkte Konfrontation mit dem tragischen Tod ihres Ehemannes.
Für Henrieta Chovancova wird es wohl ein schwerer Gang. Zumal sie nach eigener Aussage schon lange das Vertrauen in die belgische Justiz verloren hat. Erstmal musste es über zwei Jahre dauern, ehe überhaupt mal ernsthaft ermittelt wurde. Und dann hatte sie auch während der Prozedur immer noch den Eindruck, dass die Sache eigentlich immer noch unter den Tisch gekehrt werden sollte.
Für die Rekonstruktion wurden zwei Tage veranschlagt. In der Regel ist das die letzte wichtige Etappe in einer gerichtlichen Untersuchung; vor einem möglichen Prozess.
Roger Pint