Der deutliche Hinweis noch einmal explizit vorneweg: Es handelt sich um Vorschläge - nicht um einen spruchreifen Plan der Föderalregierung oder gar eine Ankündigung. Denn schließlich müssen die Regierungspartner erst einmal darüber beraten, was die zuständige Pensionsministerin Karine Lalieux da ausgearbeitet hat. Das wird angesichts der bunten Zusammensetzung der Vivaldi-Koalition sicher kein ganz spannungsfreies Unterfangen werden, um es mal diplomatisch auszudrücken. Verschiedene Zeitungen nennen das Projekt der Ministerin denn auch ein "Eröffnungsangebot" oder "Erstgebot" im Sinne, dass Lalieux bewusst hoch einsteigt, damit man sich später irgendwo in der Mitte treffen kann.
Aber was schlägt die PS-Pensionsministerin nun konkret vor? Jedenfalls keine Änderung des Rentenalters. Lalieux will nicht an den 67 Jahren rütteln. Anders sieht es beim Punkt Mindestrente aus: Nach den Wünschen Lalieux' sollen Menschen mindestens zehn Jahre lang berufstätig gewesen sein, bevor sie Anspruch darauf bekommen. Die Menschen sollen mindestens ein Drittel dieser Zeit effektiv gearbeitet haben -, das entspräche 1.040 Tagen. Aktuell sind es 30 Jahre.
Die Ministerin will aber, dass in Zukunft - anders als jetzt - auch diverse berufliche Aktivitäten berücksichtigt werden, die gerade bei jungen Menschen zu Beginn ihres Arbeitslebens typisch sind. Also dass etwa auch Studentenjobs und Praktika mitgezählt werden, erklärte Lalieux am Freitagmorgen bei der RTBF. Besser gestellt werden sollen aber vor allem auch Frauen. Denn für sie ist es oft schon wegen der Kinder schwieriger, berufstätig zu sein. Sie arbeiteten zu 42 Prozent in Teilzeit, so Lalieux. Sie sollen deshalb auch einfacher Anspruch auf eine volle Mindestrente bekommen. Die Mindestrente für Menschen, die 45 Jahre lang gearbeitet haben, soll, wie bereits angekündigt, bis 2024 um elf Prozent steigen, auf dann 1.500 Euro netto.
Möglichkeit, früher in Pension zu gehen
Zweiter großer Punkt ist die Möglichkeit, früher in Pension gehen zu können. Hier will die Pensionsministerin deutliche Lockerungen. Sie wolle nicht mehr das Rentenalter als Basis nehmen, sondern die Laufbahnjahre. Wer 60 Jahre alt sei und schon 42 Jahre gearbeitet habe, der müsse früher in Rente gehen dürfen. Die aktuelle Regelung bedeute effektiv eine Bestrafung für Minderqualifizierte. Diese begännen meist früher zu arbeiten, als Menschen, die zum Beispiel noch eine Hochschulausbildung absolvieren. Für diese Höherqualifizierten gilt aktuell, dass sie nach 42 Jahren Arbeiten in Rente können im Vergleich zu den 44 Jahren der Minderqualifizierten. Das sei eine Diskriminierung gegenüber diesen Menschen, die sozio-ökonomisch ohnehin schlechter dastünden, findet Lalieux. Außerdem seien gerade die Jobs, die Minderqualifizierte machten, körperlich besonders schwer. Schwere Berufe wiederum bedeuteten eine geringere Lebenserwartung, also auch noch weniger Zeit, um die Rente überhaupt zu genießen.
Bekanntermaßen ist der Beschäftigungsgrad in Belgien aber ohnehin ein Problem, von daher hat die Pensionsministerin auch definitiv kein Interesse daran, dass die Menschen früher aufhören zu arbeiten. Denn damit ihre Pläne haushaltsneutral sein können, braucht Belgien nach ihren Berechnungen einen Beschäftigungsgrad von 80 Prozent. Das Angebot der früheren Rente richtet sich also explizit vor allem an Menschen, die zum Beispiel körperlich einfach nicht mehr können. Menschen, die hingegen noch genug Energie haben, um weiterzuarbeiten, will Lalieux positive Anreize bieten.
Konkret bedeutet das: Altersteilzeit - also, dass Menschen ab dem Zeitpunkt ihrer möglichen Frühverrentung selbst über ihr Arbeitspensum entscheiden können und ein Pensionsbonus von pauschal zwei Euro brutto pro gearbeitetem Tag für maximal drei Jahre - und zwar unabhängig von der Höhe des Gehalts. Das bedeutet natürlich relativ betrachtet eine deutlich stärker steigende Rente bei den niedrigen Löhnen. Das sei auch soziale Gerechtigkeit, verteidigt das die PS-Ministerin. Denn die Menschen mit den niedrigsten Einkommen würden oft früher in Rente gehen, weil sie schwerere Berufe hätten.
Boris Schmidt