Schon oft haben Regierungen den Temposündern den Krieg erklärt. Doch am Ende lief das eigentlich auf die immer gleiche Feststellung hinaus, nämlich, dass es an Mitteln fehlte, um diese Politik der Nulltoleranz auch wirklich durchzuziehen. Der Flaschenhals, das waren die Staatsanwaltschaften, die so überlastet sind, dass es einfach nicht möglich ist, buchstäblich tonnenweise Geschwindigkeitsdelikte abzuarbeiten.
Das ist denn auch der Grund, warum viele Blitzen bzw. Abschnittskontrollen nicht durchgehend in Betrieb sind, sondern nur zeitweise Geschwindigkeitsübertretungen feststellen. So absurd es klingen mag, aber wenn zu viele Übertretungen festgestellt werden, dann können die nicht in den Fristen bearbeitet werden.
Die Zahlen sind beeindruckend. In Belgien gibt es 300 Bereiche, in denen die Geschwindigkeit der Verkehrsteilnehmer über eine "Section Control", also eine Abschnittskontrolle überwacht wird. Weniger als ein Drittel davon sei tatsächlich auch im Einsatz, sagte der föderale Justizminister Vincent Van Quickenborne in der VRT. Wobei man doch inzwischen sehr wohl die Vorteile einer solchen Abschnittskontrolle kenne: Die Leute fahren langsamer; es gibt weniger Verkehrsopfer.
Und das ist nur ein Beispiel. Auch viele Starenkästen sind buchstäblich die halbe Zeit außer Betrieb. Nicht, weil sie nicht funktionierten, sondern eben, weil sie nicht zu viele Knöllchen "produzieren" dürfen, um das System nicht zu überlasten. Deswegen gibt es auch außergewöhnlich, um nicht zu sagen, "absurd" hohe Toleranz-Grenzen: In den 30er-Zonen in Brüssel wird in der Praxis geblitzt ab Tempo 47 - das bestätigt sogar der Justizminister. De facto ist es also fast so, als wäre alles noch beim Alten, als gäbe es keine verkehrsberuhigte Zone.
"Naja, und wenn wir wollen, dass alle Kontrollgeräte wirklich rund um die Uhr einsatzbereit sind, nun, dann müssen wir also dafür sorgen, dass die Knöllchen tatsächlich abgearbeitet werden können", sagt Van Quickenborne. Und deshalb habe man beschlossen, eine zentrale Staatsanwaltschaft für Verkehrsdelikte ins Leben zu rufen.
Einsatz ab Ende des Jahres
Das ist kein reiner Plan mehr. Der Ministerrat hat den entsprechenden Vorschlag von Justizminister Van Quickenborne schon verabschiedet. Ende des Jahres soll die neue Staatsanwaltschaft einsatzbereit sein. Kümmern werde sie sich fast ausschließlich um Geschwindigkeitsdelikte, präzisierte in der RTBF Ignacio De La Serna, der Generalprokurator von Mons. Zweiter Zuständigkeitsbereich, das seien die Geschwindigkeitsübertretungen, die von ausländischen Verkehrsteilnehmern begangen werden.
Das Besondere ist, dass diese Staatsanwaltschaft eigentlich selbst keinerlei Anhörungen durchführen wird. Sie wird allein zuständig sein für Geschwindigkeitsübertretungen und sich dabei in erster Linie um die anfallenden administrativen Aufgaben kümmern. Im Wesentlichen sind all diese Prozesse inzwischen automatisiert; also von der Geschwindigkeitsübertretung auf der Straße bis zum Knöllchen im Briefkasten.
Menschen kommen erst ins Spiel, wenn der Betreffende etwa das Bußgeld anfechten will. Dieses Gesuch landet dann auch bei der Staatsanwaltschaft. Die Arbeit, die dann folgt, ist rein administrativer Natur, sagt De La Serna. Und eben diese Arbeit hat die Justizbehörden bislang ziemlich belastet. Genau hier soll also die neue Staatsanwaltschaft aktiv werden: Sie wird all diese vorbereitende, rein administrative Arbeit übernehmen.
Schlimmere Fälle weiter vor Polizeigericht
Es sei denn auch so, dass die neue Staatsanwaltschaft den bestehenden Polizeigerichten nur unterstützend zur Seite stehen wird. Hier wird also keine neue Ebene geschaffen. Und es sind immer noch die 14 "lokalen" Staatsanwaltschaften, die am Ende den jeweiligen Fall bearbeiten werden. Die bleiben auch zuständig für schwerwiegendere Vergehen wie Fahren unter Alkoholeinfluss oder Unfällen mit Fahrerflucht. Nur die Verwaltung der banalen Knöllchen, die wird jetzt zentralisiert.
Fünf Millionen Bußgeldbescheide wurden bislang pro Jahr ausgestellt. Weil bald durchgehend geblitzt werden kann, geht man davon aus, dass bis 2,5 Millionen zusätzliche Knöllchen ausgestellt werden können. Eine Steigerung um stolze 50 Prozent also. Das allerdings muss nicht so sein, heißt es im Justizministerium. Die Menschen müssen eben nur ihr Fahrverhalten entsprechend anpassen. Und das sei letztlich ja auch das Ziel.
Roger Pint