Erst ging es "nur" um die Tatsache, dass Haouach das muslimische Kopftuch trägt. Das tat sie auch in ihrer Eigenschaft als Regierungskommissarin im Institut für die Gleichstellung von Frauen und Männern. Für Teile der Opposition - auch für die Regierungspartei MR - kollidierte das mit dem Prinzip der Neutralität des Staates. Diese Polemik wütete schon seit Wochen.
Vor zehn Tagen kam dann alles aber nochmal in eine Stromschnelle durch ein Interview, das Ihsane Haouach der Zeitung Le Soir gewährt hatte. Darin stellte sie sinngemäß die Frage, ob das Prinzip der Trennung von Kirche und Staat nicht auch abhängig sei von der demographischen Entwicklung. Das klingt mindestens nach einer Relativierung dieses in der Verfassung verankerten Grundprinzips.
Am Freitagabend gab Ihsane Haouach ihren Rücktritt von ihrem Amt als Regierungskommissarin bekannt. Sie selbst begründete diesen Schritt mit dem Dauerbeschuss, dem sie in sozialen Netzwerken ausgesetzt gewesen sei.
Angebliche Verbindungen zur Moslembruderschaft
Ebenfalls am Freitag sorgte aber noch eine weitere Meldung für Aufregung: "Ihsane Haouach habe Verbindungen zur Moslembruderschaft", hieß es da. Die Moslembruderschaft, ein fundamentalistischer Geheimbund. In einigen Ländern wird die Vereinigung als Terrororganisation eingestuft. Diese Meldung schlug natürlich wie eine Bombe ein. Postwendend wurde gemutmaßt, Ihsane Haouach sei nur zurückgetreten, weil ihre angeblichen Verbindungen zur Moslembruderschaft ans Licht gekommen seien.
"Das stimmt nicht", betonte am Dienstagmorgen in der RTBF noch einmal der Ecolo-Vizepremier Georges Gilkinet. Ihsane Haouach habe es doch selbst geschrieben: Sie habe ihr Amt nicht mehr ausüben können wegen der ständigen Attacken gegen ihre Person.
Verdacht weitgehend in Luft aufgelöst
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich aber auch schon der schwerwiegende Verdacht gegen Ihsane Haouach weitgehend in Luft aufgelöst. Denn: Einige Medienhäuser hatten inzwischen offensichtlich nähere Einzelheiten über den Bericht erfahren, auf den sie sich berufen hatten. Es ging um eine Note der Sûreté, also des Inlandsgeheimdienstes. Die RTBF hat die Note inzwischen nach eigenen Angaben einsehen können. Und hier zeigt sich: Auf die doch drastisch klingende Einleitung folgen sehr viel nuanciertere Feststellungen.
Besagte Note trägt demnach den Betreff: "Kürzliche Ernennung von Ihsane Haouach zur Regierungskommissarin". Die Sûreté wollte die neue Amtsträgerin womöglich "abklopfen". Das Dokument umfasst drei Seiten. Die Hälfte davon ist dem Kontext gewidmet. Hier wird also erklärt, wer oder was die Moslembruderschaft ist und welche Ziele sie verfolgt.
Passive Rolle von Ihsane Haouach
In dem Passus, in dem es um Ihsane Haouach geht, steht tatsächlich zunächst der Satz: "Ihsane Haouach ist der Sûreté bekannt wegen ihrer engen Beziehungen zu Mitgliedern der Moslembruderschaft". Und dieser Satz ist - für sich alleine genommen - natürlich Sprengstoff. Sehr schnell wird aber deutlich, dass die Sûreté Frau Haouach hier eher in einer passiven Rolle sieht: Es sind die Moslembrüder, die ihre Nähe gesucht haben und nicht umgekehrt. Ausdrücklich heißt es in der Note: "Man kann nicht ausschließen, dass Ihsane Haouach sich nicht oder nur bedingt darüber bewusst ist, dass sie enge Beziehungen zu Mitgliedern der Moslembruderschaft unterhält".
Das passt zur klassischen Vorgehensweise des islamistischen Geheimbundes. Die Moslembruderschaft versuche, Einfluss auszuüben, um über diesen Weg die Gesellschaft in ihrem Sinne umzuformen, sagte in der RTBF Alain Grignard, Islamologe und in einem früheren Leben mal Kommissar in der Anti-Terror-Einheit der föderalen Polizei. Um dieses Ziel zu erreichen, suche der Geheimbund die Nähe zu einflussreichen Persönlichkeiten.
Lediglich Information, keine Warnung
Die Sûreté will offensichtlich alle Beteiligten lediglich über all das informieren. In dem Bericht heißt es: "Man schlage vor, das Kabinett der zuständigen Staatssekretärin Sarah Schlitz zu kontaktieren, um auf das Problem hinzuweisen und es darzulegen. Gegebenenfalls könne man in einer nächsten Phase auch an Frau Haouach herantreten, um sie für das Problem zu sensibilisieren". Klingt also eher so, als betrachte der Inlandsgeheimdienst Ihsane Haouach als Opfer.
Das alles beantwortet freilich nicht die Frage, inwieweit das Tragen eines Kopftuches mit der Neutralität des Staates zu vereinbaren ist. Wohl aber scheint die Exklusivinfo der RTBF darauf hinzudeuten, dass sich da einige Politiker und Medienvertreter doch mächtig vergaloppiert haben.
Roger Pint
Vergaloppiert haben sich auch vorlaute Kommentatoren, die vorgaben, dass die Nähe von Frau Haouach zu den Muslimbrüdern doch kein Geheimnis, da doch bei Wikipedia nachzulesen sei.
Medienkompetenz fällt halt nicht vom Himmel.