Konkret geht es um Ihsane Haouach. Die 36-Jährige wurde von der zuständigen Ecolo-Staatssekretärin Sarah Schlitz zur Regierungskommissarin im Institut für die Gleichstellung von Frauen und Männern ernannt. Ihsane Haouach ist hochgebildet, verfügt über einen beeindruckenden Lebenslauf. Nur trägt sie eben das muslimische Kopftuch. Teilen der Opposition und auch der Regierungspartei MR ging das zu weit. Für eine Leiterin eines föderalen Instituts sei das Tragen eines religiösen Symbols nicht angebracht, so sinngemäß die Kritik.
Umstrittene Aussagen in Zeitungsinterview
Doch sorgte Ihsane Haouach am Wochenende nochmal selbst dafür, dass die Diskussion wieder neuen Auftrieb erhielt, mit umstrittenen Aussagen in einem Interview mit der Brüsseler Tageszeitung Le Soir. Die Frage sei, ob das Prinzip der Trennung von Kirche und Staat nicht auch abhängig sei von der demographischen Entwicklung, sagte Haouach sinngemäß. Zwischen den Zeilen kann sich das so anhören: Je mehr Muslime es in Belgien gibt, desto eher muss man sich die Frage stellen, ob die Trennung von Kirche und Staat noch - so wie sie ist - Bestand haben kann oder muss.
Heftige Kritik an Haouach
Weil man das so verstehen konnte, waren diese Aussagen regelrechter Sprengstoff. Denn das entspricht ziemlich genau den Thesen des rechtsextremen Verschwörungsmythos' vom "großen Austausch", von der "Umvolkung". Der rechtsextreme Vlaams Belang und auch der unabhängige Abgeordnete Jean-Marie De Decker griffen genau dieses Wort auf. Vertreter von anderen Oppositionsfraktionen erinnerten daran, dass Ihsane Haouach auch schon in der Vergangenheit einige umstrittene Aussagen gemacht hatte. Klare Positionen für das Tragen des muslimischen Kopftuches: Positionen, die zum Teil von der geltenden Rechtsprechung abweichen. "Diese Frau verhält sich wie eine Aktivistin, wobei sie doch eigentlich die Regierung vertreten sollte", wetterte Sophie Rohonyi von DéFI. Es sei eine Premiere, dass eine Regierungskommissarin öffentlich ideologische Standpunkte verbreitet, sagte Darya Safai von der N-VA. Das widerspreche allem, wofür unsere liberale Demokratie steht.
Trennung von Kirche und Staat fundamental
Alle Fraktionen unterstrichen noch einmal, wie wichtig, wie fundamental das Prinzip der Trennung von Kirche und Staat sei. Und darin, dass das nicht verhandelbar sei, waren sich auch alle einig. Dem schloss sich ausdrücklich auch Séverine de Laveleye von Ecolo an, also eine Parteifreundin der Staatssekretärin, die ja die Personalie zu verantworten hat. Wobei die grüne Abgeordnete betonte, dass Ihsane Haouach ihre Aussagen inzwischen ja auch korrigiert und nuanciert habe.
Doch auch von anderen Mehrheitsfraktionen gab es deutliche Kritik an den Aussagen der Regierungskommissarin. "Wir würden uns mehr Zurückhaltung wünschen von einer Vertreterin der Regierung", sagte etwa Servais Verherstraeten von der CD&V. Der MR-Abgeordnete Daniel Bacquelaine wurde noch deutlicher. Nachdem er mehrmals ausdrücklich sein Befremden über die Aussagen von Ihsane Haouach zum Ausdruck gebracht hatte, wandte er sich an Sarah Schlitz: "Frau Staatssekretärin, es wird höchste Zeit, dass sie ihre Regierungskommissarin zur Ordnung rufen."
Regierungsvertreter peinlich berührt
Die Vertreter der Regierung waren offenkundig peinlich berührt. Sichtbar nervös hob auch Staatssekretärin Sarah Schlitz die Trennung von Kirche und Staat hervor. Natürlich sei das nicht verhandelbar. Frau Haouach habe aber ihr gegenüber auch genau dieses Prinzip noch einmal bekräftigt. Das Zitat sei unglücklich gewesen. Durch die von Ihsane Haouach angebrachten Nuancierungen ihrer ohnehin in eigenem Namen getätigten Aussagen sei der Vorfall für sie aber erledigt, sagte die Staatssekretärin.
Premierminister Alexander De Croo erinnerte ebenfalls noch einmal an die Grundwerte, die in der Verfassung verankert sind. Dazu zähle natürlich die Trennung von Kirche und Staat. Und hier gebe es keinen Platz für Relativierungen. Er nehme zur Kenntnis, dass die Regierungskommissarin ihren Standpunkt korrigiert habe. Aber: Eine Wiederholung der Ereignisse vom Wochenende dürfe es nicht geben. Heißt: De Croo zeigt der Regierungskommissarin die gelbe Karte. Der Opposition reichte das nicht. Der CDH-Abgeordnete Georges Dallemagne brachte es auf den Punkt: Nicht die Gelbe Karte hätte die Regierung zeigen müssen, sondern die Rote Karte.
Roger Pint
Ecolo testet die Grenzen aus. Wer ein öffentliches Amt bekleidet, darf kein religiöses Symbol tragen. Gilt das nicht etwa für Muslimas ? Wollen die wieder eine Extrawurst gebraten bekommen ?
Europa muss sich gegen solche peinlichen Aktionen, unsere Werte aushobeln zu wollen, unmissverständlich zur Wehr setzen. Da nützt auch kein schicker Lebenslauf. Die Einstellung ist daneben. So geht Integration auf jeden Fall nicht.
Wenn es diejenigen, die sich über die (tatsächlich inakzeptablen) Aussagen von Frau Haouach jetzt so echauffieren, mit dem Laizismus und der Trennung von Staat und Religion ernst meinen, wäre es an der Zeit, die Verfassung derart zu ändern, dass an staatlichen Schulen kein nach Konfessionen getrennter Bekenntnis-Religionsunterricht mehr erteilt werden... muss.
Noch besser und zeitgemäßer wäre es, das konfessionelle Unterrichtswesen gänzlich abzuschaffen.
Solange die Verfassung dies aus längst überholten Gründen vorsieht, ist ein postulierter Laizismus nichts als ein Lippenbekenntnis.
Erst wenn es quer durch die Parteienlandschaft einen Konsens gibt, den durch die Kultusträger organisierten Religionsunterricht (ohne inhaltliche staatliche Kontrolle) durch einen konfessionsübergreifenden neutralen Religionskunde- und Philosophieunterricht zu ersetzen, kann man die Entrüstung ernst nehmen.
Ich schließe mich Herrn Leonard vollkommen an und möchte noch weitere Kriterien benennen, die die 'Trennung von Kirche und Staat' zu einer Farce werden lassen:
ALLE Geistlichen werden vom Staat bezahlt (auch die Imame und ich nehme an dann auch die Rabbiner) und selbst von der Kirche aus der Funktion enthobene erhalten weiter das Gehalt vom Staat.
Geistliche unterliegen nicht dem allgemeinen Recht (siehe Kindesmishandlung z.B.) sonst säßen etliche in Gefängnissen bzw. kämen erst überhaupt mal vors Gericht.
Im Immobilienbereich gibt es auch keine Gleichstellung mit 'weltlichen' Gesetzen.
Wir alle widersetzen uns der massiven Lobbyarbeit der Privatindustrie, aber der größte Lobbyist ist die (in Belgien) kath. Kirche, die Ihre eigenen Werte überall vertreten wissen will (auch wenn da doch erheblicher Fortschritt gemacht wurde (sehe Ehe für Alle, Eutanasie, Abtreibung, Scheidung (!) etc.
Dem allen können sich die eigenen Anhänger beugen, aber lasst bitte Andersdenkende in Ruhe.
Ergänzend zu Herrn Leonard und Frau Van Straelen, das Problem der erheblichen Schieflage (Fehlallokation?) bei der 'Finanzierung der Kulte':
Die katholische Religion beispielsweise schwindet glücklicherweise seit Jahren zusehends und hat wie auf Wikipedia nachzulesen in Belgien einen Anteil von 57,1% der Religionen und nicht-konfessionnellen Weltanschauungen (Eurobarometer 90.4, 2018), erhält aber immer noch 79,2% der öffentlichen Mittel (CRISP, 2000)! Beziehungsweise 83% der Mittel für 10% praktizierende Katholiken, laut RTBF (CQFD, 25.09.2019)!!!
Von der mangelnden Transparenz bei der Finanzierung bzw. dem Verteilerschlüssel ganz zu schweigen.
Die Aussage des Premierministers, die Trennung von Staat und Kirche sei in der Verfassung verankert, stimmt so nicht ganz, denn es gibt keinen Verfassungsartikel, der dies eindeutig besagt. Dass der Staat zum einen die Kulte direkt finanziert und zum anderen via Unterrichts- und Gesundheitswesen indirekt subventioniert, ist ebenso fragwürdig; siehe hierzu auch den pertinenten Artikel von Claude Desama in L'Echo vom 7. April 2021.