Es scheint dann doch langsam aber sicher Land in Sicht zu kommen in puncto sozialer Frieden im Privatsektor. Der Arbeitgeberverband Unizo hatte dem Entwurf bereits zugestimmt. Am Donnerstag soll der belgische Unternehmerverband FEB den Text prüfen. Aber am Dienstag waren alle Scheinwerfer auf die drei großen Gewerkschaften gerichtet. Und die Kuh ist vom Eis, auch wenn sie bei der sozialistischen Gewerkschaft doch noch ziemlich ins Schlittern gekommen ist und um ein Haar in Sichtweite des Ufers noch fast eingebrochen wäre.
Extrem knappe 0,05 Prozent lagen die Befürworter am Ende der Abstimmung bei der FGTB vorne – 49,06 Prozent stimmten mit "Ja", 49,01 Prozent mit "Nein". Bei der christlichen Gewerkschaft CSC waren es mit 58,68 Prozent schon deutlich mehr. Am größten war die Zustimmung bei der kleinsten der drei Gewerkschaften, der liberalen: 88 Prozent ihrer Mitglieder unterstützten den Vertragsentwurf.
Mindestlöhne, Vorruhestandsregelung und Überstunden
Aber zunächst vielleicht noch einmal eine Kurzzusammenfassung, was in dem Entwurf überhaupt drinsteht. Ein zentraler Punkt ist die schrittweise Erhöhung der Mindestlöhne. Ältere Arbeitnehmer ab 55 Jahren können in den Genuss einer Altersteilzeitregelung kommen.
Das Mindestalter für Vorruhestandsregelungen beziehungsweise Frührenten bleibt bei 60 Jahren. Arbeitgeber können sich außerdem über bis zu 120 von der Steuer befreite Überstunden freuen, die außerdem recht flexibel verlangt werden können.
Reaktionen der Gewerkschaften
Ein offensichtlicher Kompromiss, damit alle Seiten etwas vorzuweisen haben. Aber wie es mit Kompromissen eben so ist, hält sich echter Enthusiasmus in Grenzen. Die liberale Gewerkschaft sieht das Sozialabkommen noch am positivsten. Ihr Vorsitzender Mario Coppens bezeichnete das Abkommen als ausgeglichen, fügte aber hinzu, dass die Einigung eher der Notwendigkeit, als der Begeisterung über den Inhalt geschuldet sei. Ein "Wow-Abkommen" sei es nicht, so Coppens.
Marie-Hélène Ska, Generalsekretärin der CSC, unterstrich, dass das ein wichtiger Augenblick für ihre Gewerkschaft sei. Denn dank der Einigung würde sich die Kaufkraft von rund 70.000 Beschäftigten im Land erhöhen. Von denen nämlich, die nur einen Mindestlohn erhielten. Das sei eine große Errungenschaft. Ebenfalls überzeugt habe die Möglichkeit, ab 55 Jahren beruflich kürzer treten zu können. Größter Kritikpunkt ist für Ska die Überstundenregelung: Die Flexibilität und der immer größer werdende Druck auf die Arbeitnehmer seien ein schwarzer Fleck.
Bei der sozialistischen Gewerkschaft war das Ergebnis wie gesagt äußerst knapp. Mehr als bei den anderen Gewerkschaften gab es hier auch deutliche Unterschiede zwischen dem Norden und dem Süden des Landes. Die wallonischen Gewerkschaftsmitglieder zeigten sich wesentlich zögerlicher. Das sei auch auf die geforderte Flexibilität bei den Überstunden zurückzuführen, erklärte FGTB-Chef Thierry Bodson. Dass das Ergebnis am Ende so knapp gewesen sei, zeige, dass das Pendel in beide Richtungen hätte ausschlagen können. Übertriebene Siegessicherheit für egal welche Variante sei sicher nicht angesagt gewesen. Die Entscheidung sei den verschiedenen Ebenen schwer gefallen.
Ausschlaggebend für die Befürworter sei wohl die Erhöhung der Mindestlöhne gewesen. Das hob auch FGTB-Generalsekretärin Miranda Ullens in der VRT hervor. Entscheidend sei die Solidarität mit den Menschen gewesen, die aktuell noch für weniger als zehn Euro pro Stunde arbeiten müssten, in Zukunft aber mehr als das verdienen würden. Und dass sie Rentenansprüche erwerben könnten.
Auch beim zweiten entscheidenden Punkt war sich Ullens mit ihrer CSC-Kollegin Ska einig: die Laufbahnenden. Ein Fünftel oder gar die Hälfte weniger arbeiten zu können ab 55 Jahren, das sei wichtig, denn es gebe Arbeitnehmer, die zum Ende ihrer Laufbahn hin wirklich auf dem Zahnfleisch gingen.
Sehr schwierig für die FGTB-Mitglieder sei es hingegen gewesen, die Überstundenregelung zu akzeptieren, besonders weil sich viele schon jetzt überlastet und unter Druck gesetzt fühlten. Selbst, wenn damit die wirtschaftliche Wiederbelebung nach der Corona-Krise unterstützt würde.
Lohnmarge
Und dann ist da noch ein ziemlich dicker anderer Brocken, der vielen noch immer im Magen liegt. Auch wenn er gar nicht im Rahmentarifabkommen selbst mit drin steht: die Lohnmarge von maximal 0,4 Prozent, die die Verhandlungsfreiheit der Gewerkschaften stark einschränkt.
So werden z.B. die Mindestlöhne schrittweise erhöht. Ältere Arbeitnehmer können ab dem 55. Lebensjahr Altersteilzeit in Anspruch nehmen und auch Frührenten ab dem 60. Lebensjahr bleiben möglich. Die Gewerkschaften musste dem Vertrag noch zustimmen.
Den meisten Zuspruch gab es in der liberalen Gewerkschaft CGSLB mit rund 88 Prozent. Bei der CSC lag die Zustimmung bei etwas unter 60 Prozent. Bei der Sozialistischen Gewerkschaft gab es sogar nur eine sehr knappe Mehrheit: 49,06 Prozent stimmten dafür, 49,01 Prozent dagegen.
Der Arbeitgeberverband Unizo hatte dem Entwurf schon früher zugestimmt. Am Donnerstag wird der Verband der Unternehmen in Belgien (FEB) den Entwurf prüfen.
Boris Schmidt