Knapp vier Stunden lang haben sich der liberale Premierminister Alexander De Croo (OpenVLD) und sein sozialistischer Arbeitsminister Pierre-Yves Dermagne (PS) ab dem späten Nachmittag mit den Repräsentanten der Arbeitgeber und der Arbeitnehmervertretungen getroffen. Und zunächst schienen sie danach auch eine sehr positive Botschaft verkünden zu können: Die Sozialpartner würden die Gespräche wieder aufnehmen, hieß es. Das Treffen sei in einer offenen und konstruktiven Atmosphäre verlaufen.
Gut, von weißem Rauch war da zwar nicht die Rede, denn geeinigt hatten sich die Arbeitgeber und Gewerkschaften nicht. Aber wenn Verhandlungen doch fortgesetzt werden, die zuvor als gescheitert bezeichnet worden waren, dann konnte man zuerst an zumindest vielleicht hellgrauen Rauch denken. Aber nachdem die Details des Treffens bekanntgeworden sind, ist dieses Grau mittlerweile doch wieder eher ziemlich dunkel geworden.
Die Regierung habe sich die Standpunkte beider Seiten über die Lohnerhöhungen angehört, erklärte der Vorsitzende der christlichen Gewerkschaft, Marc Leemans, nach dem Treffen. Und sie, also die Regierung, werde jetzt darüber beschließen. Die Sozialpartner würden über die anderen Punkte weiterverhandeln, die zur sozialen Konzertierung dazugehörten.
Im Klartext: Die Positionen von Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretern in puncto Lohnerhöhungen liegen nach wie vor weit auseinander, dem Premier und dem Arbeitsminister ist es nicht gelungen, zu vermitteln. Und damit liegt diese sprichwörtliche Bombe mit der munter brennenden Lunte mitten auf dem Tisch der Vivaldi-Regierung. Und in der sitzen ja bekanntermaßen mit den Sozialisten und den Liberalen zwei Parteifamilien, die gerade in puncto Wirtschaft und Soziales sehr unterschiedliche Ansichten haben. Was wiederum bedeutet, dass solche Dossiers potenziell sehr gefährlich werden können für den Zusammenhalt der bunten Regierungskoalition. Deswegen war die Regierung De Croo auch sichtlich daran interessiert, dass die Sozialpartner das Ganze unter sich ausmachen. Mit wenig Erfolg offensichtlich.
Worüber die Sozialpartner denn dann sprechen werden, wenn schon nicht über die Löhne, das ist derweil noch nicht ganz klar. Da könne es um sehr Verschiedenes gehen, so Pieter Timmermans, Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes FEB. Ein entsprechender Kalender müsse noch erstellt werden. Aber wie immer müsse es um ein Gleichgewicht gehen zwischen Punkten, die für die Arbeitgeber wichtig seien und Punkten, die für die Gewerkschaften wichtig seien, so Timmermans weiter. Dieser Plan wird für heute im Laufe des Tages erwartet. Als mögliche Themen könnten beispielsweise Mindestlöhne, Überstunden und Laufbahnenden auf der Agenda landen.
Soweit die öffentlichen Verlautbarungen. Denn anscheinend hat die Föderalregierung die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, dass von den Sozialpartnern heute doch noch ein gemeinsamer Vorschlag zur Einigung kommen könnte. Und es ist zu vermuten, dass die Regierung in dieser Hinsicht auch weiter starken Druck ausübt. Und Druck kommt auch noch von anderer Stelle, nämlich vom PS-Vorsitzenden Paul Magnette, der am Morgen sowohl bei der VRT als auch bei der RTBF zu Gast war.
Man hoffe natürlich, dass man die Sozialpartner noch ermutigen könne, sich auf ein Abkommen zu einigen, so Magnette bei Radio Eén. Dafür werde man alles tun, Plan A sei, eine Einigung zu ermöglichen. Aber wenn das nicht glücke, dann komme eben Plan B ins Spiel. Und das bedeutet, dass die Regierung eine Entscheidung fällen muss.
Das bedeutet laut Magnette dann eine Lohnsteigerung, um die in der Lohnnorm festgelegten 0,4 Prozent zusätzlich zur Indexerhöhung. Aber auch Coronaprämien für Beschäftigte in den Betrieben, denen es in der Krise gut ergangen ist und mindestens ein erster Schritt zur Erhöhung der Mindestlöhne.
Und klappe auch das nicht, und hier setzt Magnette eindeutig die liberalen Koalitionspartner unter Druck, dann gebe es eben in der Tat gar keine Einigung.
Das bedeute, dass die Gewerkschaften in allen Sektoren und in allen Betrieben frei über höhere Löhne verhandeln könnten, so die Warnung des PS-Vorsitzenden. Das wollten die Sozialisten zwar nicht, aber wenn es keine andere Lösung gebe, bliebe eben nur diese Möglichkeit.
Lohnerhöhungen: PS-Chef Magnette fordert zusätzliche Corona-Prämie
Boris Schmidt