Die Coronavirus-Zahlen in Belgien entwickeln sich positiv. Zwar langsam, aber die Richtung stimmt. Selbst die Gesundheitsexperten sind aktuell zumindest vorsichtig optimistisch. Aber sie mahnen dennoch zur Vorsicht, gerade, was zu schnelle und zu breite Lockerungen angeht.
Der Biostatistiker Geert Molenberghs etwa lässt in der Zeitung Het Belang van Limburg keinen Zweifel daran: Für ihn ist es noch zu früh für eine starke Lockerung der Regeln. Und zwar wegen der Gefahr durch die sogenannte britische Corona-Variante. Die sei zurzeit für 35 bis 55 Prozent aller Neuansteckungen verantwortlich. Dieser Anteil werde aber bis Anfang März auf 80 Prozent steigen. Im April könne es sogar sein, dass alle neuen Fälle auf diese Mutante zurückzuführen seien. In diesem Kontext alles wieder zu erlauben, sei keine gute Idee. Das habe man beispielsweise in Portugal und in Irland gesehen. Man müsse auch bei einem Durchbruch der britischen Variante die Kontrolle behalten können.
Außerdem müsse das Wetter besser werden und die Impfkampagne weiter fortgeschritten sein, empfiehlt der Biostatistiker. Dann könne schrittweise an Lockerungen gedacht werden. Sich auf ein konkretes Datum dafür festzulegen, sei schwierig. Die Wissenschaft schaue lieber auf die Kurven, als auf den Kalender, erklärte Molenberghs.
Die Corona-Maßnahmen sind aktuell bis zum 1. April verlängert. Der Hoffnung mancher Menschen, dass dann gelockert werde, verpasst auch die Infektiologin Erika Vlieghe in Het Laatste Nieuws eine kalte Dusche. Sie ist auch die Vorsitzende der Expertengruppe GEMS, die die Regierung berät. Zum jetzigen Zeitpunkt über konkrete Daten zu sprechen, sei reine Spekulation.
Lockerungen für Horeca, Kultur und Jugend
Der Epidemiologe Yves Coppieters sieht hingegen durchaus Potenzial für Lockerungen. Wenn die Testkapazitäten erhöht würden, um Infektionen so schnell wie möglich aufzuspüren, dann sei es möglich, die Corona-Zahlen weiter zu drücken und gleichzeitig gewisse Zügel zu lockern, sagt er in La Dernière Heure. Er hält auch eine Wiederöffnung der Restaurants im Frühling zumindest teilweise für möglich, beispielsweise indem man nur die Terrassen öffne oder die Öffnungszeiten begrenze, so Coppieters.
Auf eine Öffnung der Restaurants schon am 21. März pocht unter anderem lautstark der Vorsitzende der frankophonen Liberalen (MR), Georges-Louis Bouchez. N-VA-Chef Bart De Wever ist da nicht ganz so forsch. Er hofft auf einen Termin bis spätestens gegen Ostern.
Der CD&V-Vorsitzende Joachim Coens fordert derweil, dass im Frühling draußen mehr Kontakte erlaubt werden sollen, um die mentale Gesundheit der Menschen zu verbessern. Zumindest, wenn die Corona-Zahlen weiter sinken, wie er bei Radio Eén präzisierte. Auch eine Wiederöffnung der Terrassen zieht er in Betracht. Das würde nämlich gleichzeitig mehr soziale Kontakte draußen erlauben und auch dem schwer getroffenen Horeca-Sektor helfen, so Coens.
Jeholet fordert Fahrpläne
Allgemeiner formulierte es am Dienstagmorgen in der RTBF der MR-Ministerpräsident der Französischen Gemeinschaft, Pierre-Yves Jeholet. Beim Konzertierungsausschuss müsse über Perspektiven für verschiedene Sektoren gesprochen werden. Denn es sei an der Zeit für Lockerungen. Schrittweise Lockerungen zwar, aber Lockerungen. Denn die Menschen litten furchtbar. Man spüre, dass sie der Maßnahmen überdrüssig seien, dass die Bereitschaft bröckele, sich an die Regeln zu halten, dass es ein mentale Gesundheit angeschlagen sei. Die Kollateralschäden seien sehr groß. Deswegen müssten die Politiker jetzt ihre Verantwortung übernehmen und aktiv werden, so Jeholet.
Besondere Sorge bereitet Jeholet das mentale Wohlbefinden der jungen Menschen. Studenten müssten im Verlauf des März wieder Vorlesungen besuchen können. Auch wegen der sozialen Kontakte. Der Unterricht für die Schüler ab dem dritten Jahr der Sekundarstufe müsse spätestens nach den Osterferien wieder vollständig als Präsenzunterricht stattfinden, forderte der Ministerpräsident der Französischen Gemeinschaft.
Für den Kultursektor will Jeholet zumindest eine schrittweise Öffnung, zum Beispiel, dass Konzerte wieder stattfinden könnten oder dass Theater- und Kinosäle wieder öffnen dürften – wenn auch unter Beachtung strenger hygienischer Sicherheitsprotokolle. Konkrete Daten will Jeholet im Konzertierungsausschuss allerdings nicht fordern. Wohl aber Fahrpläne mit Perspektiven für alle Sektoren.
Boris Schmidt