Eines zeichnete sich schon sehr früh in der Nacht ab: Die Meinungsforscher lagen mit ihren Umfragen ziemlich daneben - wie auch bei der letzten Präsidentenwahl in Amerika. Der demokratische Herausforderer von Präsident Donald Trump, Joe Biden, sollte demnach einen teils zweistelligen Vorsprung vor dem jetzigen Bewohner des Weißen Hauses haben. Auch wenn niemand so weit gehen wollte, Trump wirklich abzuschreiben.
Der Wahlkampf war bis buchstäblich zur letzten Minute und aufs Bitterste geführt worden. Donald Trump selbst hatte schon im Vorfeld selbst kräftig die Zweifel geschürt, ob er ein ihm nicht genehmes Wahlergebnis überhaupt anerkennen würde. Und er untergrub systematisch die Rechtmäßigkeit gerade der Briefwahlstimmen. Wohlwissend, dass die eher seinem Kontrahenten nutzen würden. Trotz aller Befürchtungen verlief die Wahl an sich jedenfalls offensichtlich sehr ruhig. Und die Wahlbeteiligung war rekordverdächtig.
Mit Bekanntwerden von mehr und mehr Ergebnissen wurden vor allem die Gesichter bei den Demokraten immer länger. Von einem triumphalen Siegeszug Bidens keine Spur. Trump hatte es offenbar geschafft, seine Wählerschaft zumindest soweit zu mobilisieren, dass es auf ein knappes Rennen hinauslaufen würde. Und dann tat Trump eben das, was zwar mancher als schlimmstes Szenario an die Wand gemalt, aber doch die wenigsten wirklich erwartet hatte. Er erklärte sich zum Sieger der Wahl - und zwar bevor überhaupt alle Stimmen ausgezählt waren - und beschuldigte die Demokraten des Wahlbetrugs. Er wolle deswegen die Auszählung der Stimmen gerichtlich stoppen lassen und werde dafür vor das höchste Gericht der Vereinigten Staaten, den Supreme Court, ziehen.
Diese Rede schlug ein wie eine Bombe. Nicht nur in den USA selbst, sondern weltweit. Und angesichts der Macht und der Wichtigkeit der USA auf der Weltbühne ist das gerade für Politiker ein heißes Eisen. Noch ist das Rennen nämlich offiziell ja nicht entschieden. Jede unbedachte Äußerung könnte also schnell zum peinlichen und vielleicht sogar folgenreichen Fettnäpfchen werden. Das haben, mit Ausnahme des slowenischen Premierministers, auch die europäischen Führer verstanden. Der gratulierte Trump umgehend zu seinem selbstverkündeten Sieg und nutzte die Gelegenheit auch gleich für einen Frontalangriff auf die Medien.
De Croo
Premierminister Alexander De Croo hingegen machte das, was auch die anderen machen: diplomatisch bleiben und abwarten. Es gebe nur eine Schlussfolgerung, nämlich, dass die Stimmen in den USA gezählt werden müssten. Mehr gebe es dazu nicht zu sagen, so De Croo am Mittwochmorgen in die Mikrofone der VRT.
Von der EU-Kommission hieß es lediglich, dass man das offizielle Ergebnis annehmen werde, wenn es von den zuständigen amerikanischen Behörden verkündet würde.
Coens und Francken
Innenpolitisch blieb es in Belgien in puncto Trump-Biden ebenso auffällig ruhig. Selbst die Parteien am extremen linken und rechten Rand des Spektrums schwiegen.
Joachim Coens von der CD&V beklagte auf Twitter immerhin allgemein die Spaltung und Polarisierung durch die Politik, auch in den USA. Und Theo Francken von der N-VA kritisierte die Rede Trumps auf dem Kurznachrichtendienst als "nicht weise" und dass er hoffe, dass alle die Ruhe bewahren würden.
Gidwitz
Der amerikanische Botschafter in Belgien, Ronald Gidwitz, 2018 selbst von Trump ernannt, fand sich derweil in der unbequemen Situation wieder, die Handlungen seines Chefs erklären zu müssen. Der Präsident sei eben überschwänglich geworden, als er die Ergebnisse gesehen habe, die so nicht von den Medien vorhergesagt worden seien, verteidigte Gidwitz Trump in VRT und RTBF.
Trump sei sich wohl sehr sicher gewesen, dass er nach Auszählung aller Stimmen als Sieger dastehen würde. Zumindest vermute er das so, erklärte Gidwitz. Aber juristisch betrachtet müssten erst alle Stimmen gezählt und überprüft werden, betonte der Botschafter.
Und bis zum offiziellen Endergebnis könne es Wochen dauern. Man werde bis zum Ende des Tages wohl zumindest eine recht gute Vorstellung vom Ausgang der Wahl haben, so die Hoffnung von Gidwitz. Und Trump scheine eben schon am Morgen gedacht zu haben, genügend Stimmen erhalten zu haben, um seinen Sieg zu verkünden. Und der Rest der Welt werde dann später sehen, ob der Präsident Recht gehabt habe oder nicht.
Präsidentenwahl in den USA: Knappes Rennen zwischen Trump und Biden
Boris Schmidt