De Wever und seine N-VA, die Neue Flämische Allianz, hätten laut Parteiprogramm am liebsten eine unabhängige Republik Flandern. Zur Zeit betrachtet man dies jedoch als nicht realistisch, denn die Parteiführung ist sich nur zu gut bewusst, dass ihre Wähler in der großen Mehrzahl keine Separatisten sind, sondern an Belgien festhalten.
Deshalb wurde das unmittelbare Ziel neu definiert: Angestrebt wird von den flämischen Nationalisten neben der Spaltung von Brüssel-Halle-Vilvoorde ein Maximum an Autonomie, an Selbstbestimmung für die Teilstaaten, sprich für die Regionen und Gemeinschaften.
Dafür sollen zahlreiche Zuständigkeiten, die zur Zeit noch vom Föderalstaat ausgeübt werden, diesen Gliedstaaten übertragen werden. So zum Beispiel alles, was mit der Beschäftigungspolitik zu tun hat, Teile der Justiz, der Asyl- und Sicherheitspolitik, aber auch der Sozialen Sicherheit, wie Kindergeld und Gesundheitsfürsorge, um nur die wichtigsten zu nennen.
Darüber hat man sich bei den Sieben-Parteien-Gesprächen angeblich auch schon weitgehend verständigt, doch De Wever will mehr: Die Teilstaaten sollen für all’ die Dinge, über die sie in Zukunft selbst politisch entscheiden werden, auch die finanzielle Verantwortung tragen.
In diesem Sinne verlangt De Wever die Neufassung des Finanzierungsgesetzes, dahingehend, dass die Regionen und Gemeinschaften mindestens 50 Prozent ihrer Ausgaben aus eigenen Steuermitteln bestreiten. Dahinter steckt natürlich das Ziel, dass künftig deutlich weniger flämisches Geld in Richtung Wallonie und Brüssel fließt. Zur Zeit sind dies rund 1.000 Euro pro Flame und pro Jahr. Diese Solidarität will der N-VA-Chef zwar nicht auf einen Schlag abschaffen, wohl aber erheblich beschneiden.
Und hier liegt der Hase im Pfeffer, denn natürlich würde dies zwangsläufig das französischsprachige Belgien ärmer machen, und das wollen die frankophonen Parteien am Verhandlungstisch unter allen Umständen vermeiden. Diese Reaktion ist verständlich, doch muss man auch De Wever verstehen, der übrigens einen Großteil der Flamen hinter sich weiß.
Zuerst die Reaktion der Frankophonen: Vollkommen richtig geben sie zu bedenken, dass beim N-VA-Modell der gliedstaatlichen Eigenfinanzierung sicherlich auch weniger Geld in die föderale Kasse fließt und der Föderalstaat folglich nicht mehr in der Lage sein könnte, die ihm verbliebenen Kompetenzen zu finanzieren. Automatisch denkt man im südlichen Belgien dabei an die Solidarität in der Sozialen Sicherheit, die zum Nachteil der Frankophonen in Frage gestellt würde.
Andererseits muss man, wie gesagt, auch Verständnis für die Flamen aufbringen, wenn sie darauf verweisen, dass das seit vielen Jahren in die Wallonie geflossene flämische Geld dort bisher keine sichtbare Besserung der Lage zur Folge hatte. Wenn wir weiter wie bisher für die Wallonie und Brüssel bezahlen, so argumentiert De Wever, wird dieser Geldstrom eher noch zunehmen, denn gewissenhaft und sparsam werden die Wallonen erst mit dem Geld umgehen, wenn es aus der eigenen Tasche kommt.
Genau das will De Wever und wollen mit ihm die meisten Flamen, und es ist davon auszugehen, dass es eine neue Regierung erst dann geben wird, wenn die Frankophonen diese bittere Pille geschluckt haben werden. Dazu sollte eine Frage erlaubt sein: Weshalb eigentlich wollen die Frankophonen ihr Schicksal nicht schon jetzt finanziell selbst in die Hand nehmen, wo ihrerseits doch gerade in den letzten Tagen immer wieder zu hören ist, dass sie das bei einer Spaltung Belgiens auf jeden Fall tun werden, ja tun müssen, und dazu auch in der Lage sind.
Nun, was bei einem Ende Belgiens möglich ist, das müsste doch auch bei seinem Fortbestand möglich sein, zumal in letzterem Fall ein gewisses Maß an Solidarität seitens der Flamen auf jeden Fall bestehen bleiben müsste. Wenn die N-VA allerdings zu dieser abgespeckten Solidarität nicht bereit sein sollte, könnte man ihr und ihrem Chef De Wever zu Recht vorwerfen, dass sie einen Kompromiss - und folglich auch einen Ausweg aus der Sackgasse - bei der Regierungsbildung überhaupt nicht wollen.
bild:belga
Da fragt sich ein R. Klinkenberg, was der große Wahlsieger in Flandern eigentlich will.
Hätte sich R. Klinkenberg doch nur die Mühe gemacht, das Parteiprogramm der N-VA zu lesen, darin findet sich die Antwort.
Das klingt fast so, als strebe De Wever so eine Art k.u.k Monarchie an. Zwei völlig selbstständige Teilstaaten, die nur durch das Königshaus miteinader verbunden sind. Bei den Forderungen de Wevers wird der Bundesstaat Belgien zur leeren Hülle, und dann dürfte der Schritt zum Separatismus in der Tat nicht mehr weit sein.