Die Umstände rund um den Tod von Jozef Chovanec haben so viele Fragen aufgeworfen, dass sie längst nicht mehr nur die Staatsanwaltschaft beschäftigen. Die steht wegen ihrer ganzen Handhabung der Ermittlungen ohnehin schwer unter Beschuss. Vor allem die Frage, warum die Führung der Polizei und letztlich auch das Kabinett des damaligen Innenministers Jan Jambon offensichtlich nicht über die Aufnahmen aus der Zelle informiert wurden, ist kontrovers. Die Staatsanwaltschaft hatte die Bilder ja bekanntlich schon sehr früh nach den Vorfällen.
Aber es ist sicher nicht der einzige Aspekt dieses Polizeieinsatzes, in dessen Folge ein ausländischer Staatsbürger gestorben ist, der noch nicht zufriedenstellend untersucht worden ist. Auch der Druck aus der Slowakei, hier endlich die Wahrheit ans Licht zu bringen, lässt nicht nach. Im Gegenteil. Die slowakische Präsidentin Zuzana Čaputová hat jetzt öffentlich das Verhalten der belgischen Behörden kritisiert. Čaputová erklärte, dass die Familie von Jozef Chovanec vorgeschlagen habe, einen slowakischen Experten nach Belgien zu entsenden, um als Teil des Untersuchungsteams bei der Aufklärung mitzuhelfen. Und die Präsidentin hat Belgien um die entsprechende Zustimmung gebeten. Zuvor hatte bereits das slowakische Parlament gefordert, dass die EU-Kommission sich des Falls annehmen solle.
In Belgien sind neben der Staatsanwaltschaft auch die zuständigen Kammerausschüsse mit der Aufarbeitung befasst. Und neben dem damaligen Innenminister Jan Jambon und dem Chef der Föderalen Polizei Marc De Mesmaeker, musste sich auch schon Justizminister Koen Geens dort den Fragen stellen. Seit seinen Aussagen in der Kammer hatte sich Geens eher bedeckt gehalten. Zumindest bis Mittwochabend. Da war er nämlich in der VRT zu Gast und wurde auch zur Affäre Chovanec befragt. Und in mancherlei Hinsicht äußerte er sich dabei erstaunlich offen.
Dieser Fall raube ihm persönlich den Schlaf, er mache ihn geradezu krank, gab Geens in dem Interview zu. Dossiers wie diese und die menschlichen Dramen, die dahinterstünden, hinterließen Narben auf seiner Seele, sagte der Justizminister. Für die direkt Betroffenen sei das natürlich noch viel schlimmer. Aber auch für ihn und sein Kabinett sei es schwer, in dieser Angelegenheit so machtlos zu sein.
Allerdings ändere seine persönliche Betroffenheit nichts daran, dass er eine Funktion in einem Rechtsstaat innehabe, betonte Geens. Und in dieser Funktion dürfe er sich auch nicht in Ermittlungen einmischen. Denn in einem Rechtsstaat wie Belgien seien nicht nur die Richter unabhängig. Unabhängig seien auch die Strafverfolger. Und bei konkreten Verfahren müsse sich der Justizminister heraushalten. Deswegen sei es auch an der Staatsanwaltschaft, ihre Ermittlungsarbeit vor der Kammer zu erklären und zu rechtfertigen. Er dürfe sich nicht weiter dazu äußern, da das eine unzulässige Einmischung der Politik in die Arbeit der Justiz darstellen würde, unterstrich Geens.
Dass der Justizminister sich persönlich betroffen fühlt, dürfte für die Angehörigen aber allenfalls ein schwacher Trost sein. Genauso wie der Versuch des föderalen Polizeichefs De Mesmaeker, der Familie Chovanecs eine versöhnliche Hand zu reichen. Das macht am Donnerstag die Anwältin Ann Van de Steen in einem Interview in der Zeitung L'Avenir mehr als deutlich. Ihre Klientin habe dieses Ansinnen De Mesmaekers als viel zu spät zurückgewiesen. Unter den gegebenen Umständen wolle die Witwe den Polizeichef nicht treffen. Zu schockierend und traumatisch seien die Aufnahmen aus der Arrestzelle noch immer. Sie hoffe, dass De Mesmaeker das verstehen könne. Aber was sich da am Flughafen Charleroi abgespielt habe, diese Bilder erinnerten schlicht an die Gestapo oder an von der Terrorgruppe al-Qaida kontrollierte Länder. Man habe Jozef Chovanec schlimmer als ein Tier behandelt, wie Abfall seien die Polizisten mit ihm umgegangen.
Boris Schmidt