Man glaubt es kaum, aber Annemie Schaus ist erst die zweite Frau an der Spitze einer belgischen Universität. Die erste war 1990 Françoise Thys Clément, ebenfalls an der ULB.
Annemie Schaus, ist aber überzeugt, dass sie nicht nur wegen ihres Geschlechts gewählt wurde. Das sagte sie am Mittwochmorgen in der RTBF: "Ja, eine Frau als Rektorin ist ein wichtiges Symbol, aber ausschlaggebend war mein Programm." Sieben konkrete Maßnahmen umfasst es, alle auch finanzierbar, betont Schaus. Denn mit den Finanzen steht es im Hochschulbereich generell nicht zum Besten. Einer ihrer Punkte ist, dass Kosten für Forschung steuerlich abzugsfähig werden. Eine Aufforderung an die zukünftige Föderalregierung, mehr in die Universitäten zu investieren.
Belgien gebe trotz anders lautender europäischer Verpflichtungen nur 0,7 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes für die Wissenschaft aus. "Das ist zu wenig", so Schaus. "Denn, genau wie bei der Justiz und im Gesundheitswesen: Auch unterfinanzierte Unis sind ein demokratisches Problem."
Die Coronakrise habe noch einmal deutlich gemacht, wie wichtig Wissenschaft und Forschung seien. Annemie Schaus hofft, dass auch die Politik eingesehen hat, dass die Universitäten mehr denn je Unterstützung benötigen.
Im Gegenzug hat die Corona-Pandemie aber auch ein gestiegenes Misstrauen gegenüber der Wissenschaft und ihren Experten hervorgebracht. Die oft widersprüchlichen Aussagen, zum Beispiel zur Wirksamkeit von Mundschutzmasken, waren der Nährboden für Fake News und Verschwörungstheorien. "Da hilft nur ein besseres Bildungswesen", sagt Annemie Schaus.
Die gestiegenen Studentenzahlen hätten auch zur Folge, dass nicht mehr allen eine Chance gegeben werden könne. Der soziale Aufstieg, vor allem sozial schwächerer Studenten werde schwieriger, wenn Unterstützungsprogramme gestrichen werden müssten.
Die zukünftige Rektorin ist spezialisiert in Menschenrechtsfragen und Grundfreiheiten. Dazu gehört auch der Schutz der Privatsphäre. Sie ist deshalb auch eine Gegnerin der kommenden Corona-Tracing-App. Jedenfalls in der jetzigen Form. Derzeit sei nämlich noch unklar, was mit den Daten der Nutzer passiert.
Sie fordert, dass die Nutzerdaten automatisch nach zwei Wochen gelöscht werden. Allerdings, so Schaus, sei die App im Vorteil gegenüber den aktuellen menschlichen Corona-Kontakt-Aufspürern. Da wüsste man überhaupt nicht, was die mit den Daten machen. Bei der App wisse man zumindest wo sie liegen.
Kritik übt Schaus auch am Verhalten der CD&V in den derzeitigen Regierungsverhandlungen. Die flämischen Christdemokraten wollen keine Reform des Abtreibungsgesetzes, und machen das zur Bedingung einer Regierungsbeteiligung. Doch für die Reform gebe es eine parlamentarische Mehrheit, und das Parlament sei der Souverän und habe in dieser Frage zu entscheiden.
Demokratie liegt Annemie Schaus tatsächlich am Herzen. Deshalb sei sie auch Mitglied im Anwaltsteam des Wikileaks-Gründers Julian Assange gewesen. Der sei schließlich Journalist, und seine Verfolgung ein Angriff auf den Journalismus.
Den Kampf für die Freiheit des Journalismus wird Annemie Schaus vorerst ruhen lassen müssen. Ihr Mandat im Assange Team hat sie mit der Ernennung aufgegeben.
Für das Recht auf Information: Anwältin von Julian Assange hat Wurzeln in St. Vith
Volker Krings