Der damalige Innenminister und jetzige flämische Ministerpräsident Jan Jambon (N-VA) hat eine Sache immer wieder betont: Aus dem Polizeibericht sei die Tragweite oder ein eventuell problematisches Verhalten der Beamten nicht ersichtlich gewesen. Das sagte sinngemäß auch Justizminister Koen Geens (CD&V) letzte Woche vor dem Kammerausschuss.
Und diese Darstellung wird am Montag auch exklusiv durch die Zeitung De Morgen gestützt. Die konnte den Bericht nämlich einsehen. Und stellt fest, dass wesentliche Elemente verschwiegen worden sind.
Der Polizeibericht der Nacht vom 23. auf den 24. Februar 2018 hält lapidar fest, dass der Arzt um 5:03 Uhr den Herzstillstand feststellt. Jozef Chovanec fällt ins Koma, er wird später im Krankenhaus sterben. Aus dem Überwachungsvideo der Arrestzelle ist ersichtlich, dass die Polizisten Jozef Chovanec zuvor eine Decke um den Kopf gewickelt haben. Das wird im Bericht nicht erwähnt. Genauso wenig wie, dass sich die Beamten 16 Minuten lang mit vollem Körpereinsatz auf den Rücken des liegenden Mannes lehnen. Auch der Hitlergruß der jungen Polizistin taucht nicht auf. Elf knappe Sätze, mehr ist den Beamten nicht wert, was in der Zelle passierte und was mit dem Tod eines Menschen endete.
Das wirft unangenehme Fragen auf. Insbesondere, was die internen Abläufe bei der föderalen Polizei angeht. Zweieinhalb Jahre nach dem Tod Chovanecs fiel die Führung der Polizei durch die in der Presse verbreiteten Skandalbilder aus allen Wolken. Und das, obwohl allgemein bekannt war, dass die Zellen videoüberwacht waren. Nur hat ein Abgleich des Berichts mit dem Video offensichtlich nicht stattgefunden.
Fragen wirft auch möglicherweise das Verhalten des mobilen Notfalldienstes am Flughafen auf. Es waren Angehörige dieses Dienstes, die das Beruhigungsmittel spritzten, während vier Beamte Chovanec festhielten. Sie waren es auch, die kurz danach feststellten, dass er keinen Puls mehr hatte. Die Polizisten sagten vor dem Komitee P, dem Aufsichtsgremium der Polizei, aus, dass eine der Krankenschwestern gesagt haben soll, dass selbst wenn Chovanec die Injektion nicht überlebe, das kein großer Verlust sei. Das bestreitet die Krankenschwester aber. Nachprüfbar ist weder die eine, noch die andere Version, weil das Überwachungsvideo keinen Ton aufzeichnete. Der zuständige Rechtsmediziner jedenfalls vermerkte später bei seiner Autopsie, dass Chovanec infolge mechanischer Erstickung gestorben sei.
Neben den Vorfällen in der Arrestzelle werfen inzwischen auch die Ereignisse vor und während der Festnahme Fragen auf. So konnte die VRT mit zwei Zeugen sprechen, die sich ebenfalls an Bord der Ryanair-Maschine nach Bratislava befanden. Einer von ihnen sagte aus, Chovanec schon vor dem Boarding in der Abflughalle begegnet zu sein und von diesem angesprochen worden zu sein. Dabei habe Chovanec ihm sein Ticket gezeigt, um sich zu versichern, dass er den richtigen Flug habe. Chovanec habe dabei einen besorgten und verwirrten Eindruck gemacht. Aber sei nicht aggressiv gewesen. Auch als die Flugzeug-Crew dann die Polizei gerufen habe, weil Chovanec sein Boarding-Ticket nicht vorzeigen wollte, habe Chovanec lediglich weiter ein verwirrtes, aber kein bedrohliches Verhalten an den Tag gelegt. Diesen Eindruck bestätigte auch ein zweiter Fluggast.
Das deckt sich auch mit Aussagen des Sicherheitsmannes, der, nachdem der Slowake nach Übersetzung durch andere Passagiere selbstständig die Maschine verlassen hatte, mit Chovanec auf dem Rollfeld auf die Polizei wartete. Vor dem Komitee P sagte der Sicherheitsmann aus, dass er sich mit Chovanec unterhalten habe und sie sich vom Flugzeug entfernt hätten. Dann seien zwei Polizisten gekommen und hätten sich auf Chovanec gestürzt. Der habe sie weggestoßen und sei weggerannt, bevor ihn sechs Beamte auf der Rollbahn niederrangen.
Für die Zeugen ein vollkommen überzogenes Verhalten der Beamten. Unverhältnismäßig und gewalttätig seien die Polizisten gewesen. Eine aggressive Festnahme eines Unschuldigen, so der Fluggast. Höchst unprofessionell hätten sich die Beamten verhalten, so der andere Zeuge. Als geradezu brutal könne man das vielleicht sogar beschreiben.
Die Polizisten hätten erkennen müssen, ob jemand krank und deswegen nicht in der Lage sei, sich mitzuteilen oder seine Dokumente vorzuzeigen. Oder ob jemand wirklich eine Gefahr darstelle. Und das sei hier nicht der Fall gewesen, ist der damalige Mitreisende überzeugt.
Boris Schmidt