Nach zwei Stunden Sitzung des Föderalbüros stand fest: Robert Vertenueil ist offiziell nicht länger Präsident der sozialistischen Gewerkschaft FGTB. Er hatte sich den Unmut der wallonischen Basis zugezogen, als er sich mit dem liberalen MR-Vorsitzenden Georges-Louis Bouchez getroffen hatte. Beide zusammen hatten daraufhin gemeinsam für einen "neuen Sozialpakt" plädiert. Aufgrund der heftigen Kritik musste sich Verteneuil daraufhin einer Vertrauensabstimmung stellen - die er verlor.
Ihm folgt, viele hatten das bereits im Vorfeld vermutet, der Lütticher Thierry Bodson nach. Wenn auch zunächst nur zeitlich begrenzt. Der Generalsekretär des frankophonen Verbandes übernimmt zusammen mit seiner flämischen Kollegin Miranda Ulens provisorisch zunächst bis Mitte September, dann wird der Posten offiziell neu besetzt werden.
Bodson erklärte, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Entmachtung Vertenueils und einem wachsenden Einfluss der extrem linken PTB auf die FGTB oder dem Treffen Vertenueils mit Georges-Louis Bouchez gebe. Die Position Vertenueils sei vielmehr unhaltbar geworden, weil dieser das Vertrauen der Abteilungen der Gewerkschaft verloren habe.
Das habe nichts mit der PTB zu tun, die nicht mehr Einfluss auf die Debatten innerhalb der FGTB habe, als jede andere Partei. Und das Problem sei auch nicht gewesen, dass sich Vertenueil mit dem Vorsitzenden der frankophonen Liberalen getroffen habe. Sondern die Art und Weise, wie das geschehen sei. Natürlich könne man mit politisch Verantwortlichen Diskussionen führen. Aber man bringe nicht zwei oder drei Journalisten zu dem Treffen mit. Und man achte vor allem darauf, nicht über sein Mandat hinauszugehen. Und zum jetzigen Zeitpunkt habe kein FGTB-Verantwortlicher ein Mandat, um über neue soziale und wirtschaftliche Pakte zu verhandeln. Was offenbar Sinn des besagten Treffens gewesen sei.
Die Sitzung des Föderalbüros selbst sei sehr konstruktiv verlaufen, teilte Bodson in einer anschließenden Pressekonferenz mit. Man sei mit einem konkreten Vorschlag in die Beratungen gestartet und es habe Einigkeit darüber geherrscht, dass sich die FGTB in der aktuellen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Krise kein langes Machtvakuum leisten könne. Aus diesem Grund habe man den Zentralen der Gewerkschaft mitgeteilt, dass man eine schnelle Lösung wünsche. Wohlgemerkt unter Beachtung der geltenden Statuten.
Auch Bodsons Kollegin Miranda Ulens betonte, dass man eine Krise durchlebe, die noch lange nicht zu Ende sei. Deswegen werde man die nächsten zwei Jahre hart daran arbeiten, entsprechenden Druck auf die Politik auszuüben, um die Rechte der Arbeiter zu verteidigen. Hier gehe es beispielsweise um die Vereinbarung von Privatem und Beruf. Und die Menschen erwarteten von den Gewerkschaften Schutz, dass die Gesundheitsversorgung korrekt finanziert würden und soziale Gleichheit. Der FGTB gehe es um die Menschen.
Kontinuität
Und für Ulens war Thierry Bodson die offensichtliche Wahl, um eine Kontinuität an der Spitze der sozialistischen Gewerkschaft zu gewährleisten. Er habe eine sehr große Expertise, sei Gewerkschafter mit Herz und Seele, lobte Ulens. Und er kenne die sozialistische Gewerkschaft auch auf der föderalen Ebene sehr gut beziehungsweise gehöre eben bereits zum Führungsteam. Ein sehr guter Kandidat also. Und als Duo verfügten sie auch über das Vertrauen der Basis in beiden Landesteilen, um die Herausforderungen, die sich gerade jetzt stellten, anzugehen.
Kontinuität - dieses Argument benutzt auch Thierry Bodson selbst. Als Verantwortlicher für die wallonische FGTB sitze er seit fast 13 Jahren im föderalen Sekretariat der FGTB. Das erlaube also, eine gewisse Kontinuität zu bewahren. Und eben aus Kontinuitätsgründen haben man eine team-interne Lösung bevorzugt, so Bodson.
Er machte allerdings auch bereits klar, dass er durchaus, sagen wir mal, gewillt ist, mehr als nur eine Interimslösung darzustellen. Natürlich werde er, wenn es so weit sei, auch seine Kandidatur für den Posten des FGTB-Vorsitzenden einreichen. Um eben diese Kontinuität dann weiter zu gewährleisten, bis zum Kongress der sozialistischen Gewerkschaft 2022.
Und Bodson hielt auch nicht mit seinen Plänen hinterm Berg. Wohlwissend, dass im November die wichtigen Sozialwahlen anstehen und dass im Zuge der Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise auch der Wiederbelebungsplan für das Land ausgearbeitet werden muss.
Auf die Arbeitswelt kämen schwierige Zeiten zu, warnte Bodson. Und bei der FGTB befürchte man, dass die Wiederbelebungsmaßnahmen zum Teil zu Lasten der Arbeitnehmer gehen könnten. Man könne aber nicht einfach wieder wie vor der Krise weitermachen, es müsse Veränderungen geben. Und man habe bereits konkrete Vorschläge für einen Kurswechsel, wie man ihn sich vorstelle, kündigte Bodson an.
Entmachtet: FGTB-Chef Vertenueil verliert Vertrauen der Basis
Boris Schmidt