Karneval in Aalst, unweit von Brüssel ist wohl der bekannteste Karneval in Flandern. Der ganze Stolz der örtlichen Narren, das ist der "stoet", der Karnevalsumzug. Gleich an mehreren Tagen ziehen die Gruppen mit ihren zum Teil aufwendig gebauten Festwagen durch die Stadt.
Dieser "stoet" ist, man könnte sagen, "gnadenlos tabulos". Ungeniert und rücksichtslos wird sich über alles und jeden lustig gemacht. Der gute Geschmack ist da kein Maßstab. Und das sorgt dafür, dass der Karneval in Aalst ebenso berühmt wie berüchtigt ist.
In den letzten Jahren hat es in Aalst aber gleich mehrmals regelrechte Entgleisungen gegeben. 2013 etwa paradierte eine Gruppe mit Gestapo-Uniformen durch die Straßen, die Details kann man sich sparen.
Im letzten Jahr sorgte die Gruppe Vismooil'n dann aber für einen richtigen Eklat. Die hatte sich das Thema "Sabbatjahr" ausgesucht. Kurz und knapp: Die Preise steigen, also fehlt das Geld, deswegen muss man eine Auszeit nehmen. "Sabbatjahr, Sabbat, das kommt ja von den Juden", muss sich da wohl einer gedacht haben.
Klischee des geldgierigen Juden
Und dann wurde tief in die Klischee-Kiste gegriffen. Alles, was den Aalster Jecken zum Thema Juden eingefallen ist, wurde verarbeitet. Das Resultat war haarsträubend: Auf dem Festwagen sah man zwei orthodoxe Juden mit Schläfenlocken und Hakennase - also den typisch überzeichneten Gesichtszügen. Die Mimik war die eines schelmischen, geldgierigen Abzockers. Um das Ganze abzurunden, sah man im Hintergrund dann auch noch einen Geldschrank nebst Dollarscheinen.
Zusammengefasst: Das Motiv des Wucherers, des geldgierigen, verschwörerischen "Weltjuden". Und da konnte man schon den Eindruck haben, dass sich die Aalster Narren in eine Zeitmaschine gesetzt hatten. Die "Karikaturen" sahen aus, als stammten sie direkt aus den 1930er Jahren.
Der Aufschrei war groß. Jüdische Organisationen reichten Klage ein, sogar die EU-Kommission verurteilte die in Aalst produzierten Bilder. Am Ende schaltete sich die Unesco ein und drohte, den Karneval von Aalst von der Liste des immateriellen Weltkulturerbes zu streichen.
Unesco streicht Aalst
Doch auch diese Drohung ließen die Aalster Karnevalisten an sich abprallen. "Wir lassen uns von niemandem vordiktieren, worüber wir lachen dürfen und worüber nicht", sagte der N-VA-Bürgermeister Christoph D'Haese damals in der VRT. Diese Linie hatte man auch vor der Unesco vertreten. Mit dem Resultat, dass der Karneval von Aalst seinen Status als Weltkulturerbe verlor.
Da muss man kein Hellseher sein: Die Aalster werden wohl die Ereignisse der letzten Monate im diesjährigen Karneval thematisieren. Und, wenn sie das so machen, wie sie das immer tun, dann muss man mit dem Schlimmsten rechnen. Einige Zeitungen befürchten, dass der Aalster Karneval es diesmal erst recht in die Weltpresse "schafft".
Der israelische Botschafter in Belgien warnt schon in der Zeitung De Standaard davor, dass das Belgienbild international Schaden nehmen könnte. Die eine oder andere Fotoreportage scheint die Sorgen jedenfalls zu bestätigen: In diesem Jahr könnten Juden-Karikaturen wohl Thema Nummer 1 sein beim traditionellen "stoet".
Bilder einordnen
Drei Professoren der Unis von Antwerpen, Gent und Löwen haben erst in De Morgen und dann auch in der VRT einen Appell lanciert, nach dem Motto: "Liebe Medien, veröffentlicht bitte nicht solche Bilder". Wir wollen keine Zensur predigen, sagt der Genter Professor Klaas Smelik. Wir wollen nur auf die Gefahr hinweisen, die von solchen antisemitischen Karikaturen ausgeht.
Es seien eben solche Bilder, die schon in den 1930er Jahren den Menschen das Vorurteil einreden sollte, dass die Juden generell Wucherer seien, mehr noch, eine Gefahr für die ganze Menschheit. Und all das hat letztlich zum Holocaust geführt. Ob das nun im Karneval passiert oder in einem anderen Zusammenhang, das ändert nichts: Im Endeffekt werden solche Bilder und damit auch diese anti-jüdische Propaganda verbreitet.
Den Professoren ist klar, dass das kaum zu vermeiden sein wird. Deswegen plädieren sie dafür, dass man diese Bilder immer in ihren historischen Kontext setzt, einordnet und unterstreicht, dass es überzeichnete Klischees sind. Und dass man sagt, welche Folgen Antisemitismus gehabt hat.
Das Argument, dass man in Aalst eben über alles und jeden lacht, das stimme im Übrigen nicht, sagte Professor Klaas Smelik. In Aalst lacht man über alles, außer über die Killerbande von Brabant. Die Verbrecher hatten ja im November 1985 in einem Supermarkt in Aalst acht Menschen getötet. Wenn es um die eigene Geschichte geht, dann hat man offensichtlich doch Skrupel.
Roger Pint